Henry Skrimshander ist das, was man im Sport gerne als Jahrhunderttalent bezeichnet. Mit gerade mal 17 Jahren scheint der Junge die besten Voraussetzungen für eine glorreiche Baseball-Karriere in der Position des Shortstops mitzubringen: Scheinbar mühelos antizipiert Henry die Bälle, fängt sie mit spielerischer Leichtigkeit und bringt sie anschließend mit traumwandlerischer Sicherheit an den Mitspieler – noch dazu arbeitet er von morgens bis abends wie ein Besessener an seinen Fähigkeiten. Sein Pech ist jedoch, dass in der Provinz niemand sein Talent richtig zu schätzen weiß, bis Henry schließlich von Mike Schwartz, dem Baseball-Kapitän des Westish College, entdeckt wird und sich dieser für eine Aufnahme des Baseball-Wunderkindes einsetzt. Angekommen in Westish geht es für Henry scheinbar nur noch bergauf: Er wird Stammspieler im Team, legt eine unfassbare Serie an fehlerfreien Spielen in Folge hin und zieht die Aufmerksamkeit prominenter Scouts auf sich – bis ein Wurf Henrys Leben völlig aus der Bahn wirft…
Ein Baseball-Roman…
Ob im Film oder in der Literatur – gute und mitreißende Sportromane gibt es selten und man muss hierzulande meist einen Blick über den großen Teich werfen, um überhaupt mal ein Glanzlicht dieses Genres zu finden. Zudem bekommt man es dann häufig noch mit einer Sportart zu tun, die dem Europäer in der Regel nicht allzu vertraut ist – wie in Chad Harbachs „Die Kunst des Feldspiels“, in dem sich (fast) alles um Baseball dreht. An dieser Stelle werden die meisten vermutlich schon aussteigen, denn die Regeln dieses Sports dürften hierzulande wohl nur den wenigsten vertraut sein. Selbst ich als großer Sportfan, der z.B. bei Olympischen Spielen jede noch so kleine Nischensportart inhaliert und sich dann selbst für Skeet-Schießen und Gewichtheben zumindest ein wenig begeistern kann, habe mit Baseball nun überhaupt nichts am Hut und eigentlich auch nicht das geringste Interesse, etwas daran zu ändern.
… bei dem man Baseball nicht zwingend verstehen und mögen muss
Nicht gerade die besten Voraussetzungen für die Lektüre, zumal Chad Harbach seinen Lesern auch keinerlei Hilfestellung leistet und nicht einmal die Grundzüge des Spiels erklärt – von Positionen, Würfen oder speziellen Taktiken ganz zu schweigen. Und auch wenn dies im Verlaufe des Romans manchmal ganz schön nerven kann und dadurch auch die Spielszenen häufig schwer nachvollziehbar sind und auf den Laien sicherlich nicht mit voller Intensität wirken können: Man kann „Die Kunst des Feldspiels“ tatsächlich auch komplett ohne Baseball-Kenntnisse und -Interesse lesen – und das sogar mit Begeisterung. In gewisser Hinsicht hat man es hier nämlich zunächst mit einer typischen Außenseiter-Erfolgsstory zu tun. Henry Skrimshander, 17 Jahre alt, Kind der Provinz, verbringt seit Kinderjahren jede freie Sekunde mit Handschuh und Baseball, hat keine Freunde und bei allem Trainingseifer eigentlich auch keine Zeit für soziale Kontakte und blüht nur dann richtig auf, wenn er auf dem Feld steht. Es kommt, wie es in solchen Geschichten so oft kommt: Das Talent wird entdeckt und es geht plötzlich steil bergauf, bis irgendwann der Wendepunkt kommt und das Drama Einzug in die vermeintliche Bilderbuchkarriere erhält.
Vom Sport und anderen Herausforderungen des Lebens
Chad Harbach hat aber noch einiges mehr zu bieten, denn mit dem Sport und speziell mit Henry Skrimshanders Karriere sind nämlich auch einige andere Schicksale verbunden: Das seines Teamkapitäns Mike Schwartz, der selbst nie so ein außergewöhnliches Talent besessen und irgendwie Angst hat, aus der Sicherheit der heimischen Gefilde herauszutreten und sein eigenes Leben zu leben, das seines Collegedirektors Affenlight, der sich nach dem Tod seiner Frau plötzlich zu Henrys Mitbewohner hingezogen fühlt und sich in eine verbotene Affäre stürzt oder das von Affenlights Tochter Pella, die vor ihrer gescheiterten Ehe flüchtet und unfreiwillig mitten zwischen all den kleinen dramatischen Einzelschicksalen landet. Und obwohl mich rein auf dem Papier betrachtet eigentlich keines der davon berührten Themen sonderlich anspricht, hat mich dieser Roman ohne große Anstrengung gefangen genommen. „Die Kunst des Feldspiels“ ist mitreißend geschrieben, sprachlich toll und wirkt der manchmal etwas schablonenhaft wirkenden Sportler-Story dann doch immer wieder mit ein paar Überraschungen entgegen – Chad Harbach liefert eben nicht die vielleicht zu erwartende kitschige Helden-Story, sondern eine, die das Leben tatsächlich schreiben könnte, inklusive der kleinen und großen Siege, Enttäuschungen und Dramen auf und außerhalb des Spielfeldes.
Cover: | |
Charaktere: | |
Story: | |
Atmosphäre: |
8/10