Der faule Henker_Rezi

Zwei Polizistinnen werden zu einer Musikschule gerufen, weil ein Wachmann dort am schulfreien Samstag Schreie gehört hat. Als die Beamtinnen dem Hinweis nachgehen, stoßen sie in dem Gebäude tatsächlich auf einen Mann, der sich über eine tote und gefesselte junge Frau gebeugt hat. Überrascht ergreift der vermeintliche Mörder die Flucht und verbarrikadiert sich in einem Raum, aus dem es für den Mann kein Entkommen zu geben scheint. Als die Polizistinnen nach ein paar Minuten die Türen aufbrechen und ins Zimmer stürmen, trauen sie jedoch ihren Augen nicht: Der Raum ist leer und von dem Täter fehlt jede Spur. Weil es der Polizei nicht gelingt, das Rätsel um das scheinbar unmögliche Verschwinden des Mannes zu lösen, werden der gelähmte Ermittler und Tatortspezialist Lincoln Rhyme und seine Partnerin Amelia Sachs mit dem Fall beauftragt. Und dem erfahrenen Ex-Detective wird schnell klar, dass er es hier mit einem seiner gerissensten Gegner zu tun hat, der die Grenzen zwischen Illusion und Realität scheinbar spielend verschwimmen lässt…

Ein Meister der Illusion als skrupelloser Serienkiller

„Der faule Henker“ ist nicht nur der deutsche Titel des fünften Lincoln-Rhyme-Romans aus der Feder von Thriller-Spezialist Jeffery Deaver, sondern auch der Name eines berühmten Zaubertricks, bei dem der Illusionist sich in einer atemberaubenden Aktion aus einer tödlichen Schlinge befreit. Auch der Originaltitel „The Vanished Man“ ist dem Repertoire der Zauberkünstler entnommen und passt zudem perfekt auf die Auftaktszene dieses Romans: Ein Mörder wird auf frischer Tat ertappt und zur Flucht in einen Raum genötigt, aus dem es keinen Ausweg gibt. Trotzdem ist der Mann beim Stürmen des Zimmer verschwunden – und keiner weiß, wie der Täter diese Unmöglichkeit geschafft hat. Und genau solche Aktionen sind es, die „Der faule Henker“ einen ganz besonderen Reiz verleihen. Wie dem Leser von Anfang an enthüllt wird, handelt es sich bei Rhymes Gegenspieler nämlich um einen raffinierten Illusionisten, der New York mit einer ganz speziellen und ziemlich tödlichen Zaubervorstellung „beglücken“ will.

Faszinierende Einblicke in die Kunst der Täuschung

Dies ermöglicht Jeffery Deaver ein sehr umfangreiches Repertoire an unglaublichen Illusionen, von dem der Bestsellerautor auch munter Gebrauch macht und dabei des öfteren tief in die Trickkiste greift. Der Leser nimmt dabei die Rolle des Zuschauers einer magisch-morbiden Vorführung ein und bekommt einen Täter präsentiert, der aus verschlossenen Räumen verschwindet, in verschlossene Räume eindringt und sein Erscheinungsbild scheinbar beliebig und in Sekundenbruchteilen völlig ändern kann. So ist es wenig überraschend, dass „der Hexer“ den erfahrenen Lincoln Rhyme vor eine ganz besondere Herausforderung stellt, an der sich selbst der renommierte Spurenermittler die Zähne ausbeißt. Deaver hat aber ein Einsehen mit seinem Protagonisten und stellt Rhyme die junge Illusionistin Kara zur Seite, die den Ermittlern und Lesern interessante und wichtige Einblicke in die Kunst der Täuschung liefert. Mit dieser Nebenfigur ist dem Autor wirklich ein Glücksgriff gelungen, denn Kara weiß mit ihren spannenden Erläuterungen nicht nur zu faszinieren, sondern gewinnt durch ihr selbstbewusstes Auftreten auch schnell Sympathien. Es ist einfach zu herrlich, wenn die junge Frau den alten Hasen Rhyme nach allen Regeln der Zaubereikunst vorführt und Lincoln damit fast zur Weißglut treibt.

Hochspannend, aber mit viel zu vielen haarsträubenden Wendungen

Die Thriller von Jeffery Deaver zeichnen sich allgemein durch wendungsreiche und rasante Storys aus, doch bei „Der faule Henker“ lässt der Autor diesmal ein wahres Feuerwerk an Überraschungen auf sein Publikum los. Man kann niemandem trauen, alles ist möglich und so sehr man auch aufpasst – irgendwann fällt man trotzdem auf eine von Deavers falschen Fährten ein. Somit ist Lincoln Rhymes fünfter Fall eigentlich genau das, was ich mir von dem Buch erhofft hatte – und dennoch zählt die Jagd auf den Hexer für mich eher zu den schwächeren Teilen der Reihe. Das hat den Grund, dass Deaver es mit seinen Täuschungen gerade in der zweiten Hälfte maßlos übertreibt und bei seiner Begeisterung für Illusionen völlig die Bodenhaftung verliert. Eigentlich hat man nach rund zwei Drittel der Geschichte das Gefühl, der Fall wäre gelöst – doch dann geht die Action erst richtig los. Auf eine Überraschung folgt die nächste, dann noch eine, und noch eine, und noch eine. Und so sehr das enorme Tempo auch fasziniert – irgendwann ist ganz einfach der Punkt erreicht, dass man Deaver seine Geschichte nicht mehr abkauft. Das Problem ist dabei nicht einmal, dass sich der Amerikaner in seiner Story hoffnungslos verstrickt, denn selbst die abenteuerlichsten Wendungen werden logisch erklärt und sind absolut wasserdicht. Wenn die Handlung aber im 30-Minuten-Takt völlig auf den Kopf gestellt wird und man dabei nie die Chance hat, die Täuschungen selbst zu erkennen, sondern immer erst rückblickend „belehrt“ wird, dann ist das schon ein wenig frustrierend. Außerdem wirkt es dadurch oft so, als würde Deaver den richtigen Zeitpunkt für das Ende seiner Geschichte verpassen. Bitte nicht falsch verstehen: Auch „Der faule Henker“ ist ein richtig guter Thriller, der rasante Spannung von der ersten bis zur letzten Minute bietet und von Dietmar Wunder in der Hörbuchfassung auch gewohnt grandios gelesen wird. Bei der fünften, sechsten oder siebten haarsträubenden Wendung wird es aber irgendwann einfach ein wenig albern…

Der faule Henker
  • Autor:
  • Sprecher: Dietmar Wunder
  • Original Titel: The Vanished Man
  • Reihe: Lincoln Rhyme #5
  • Verlag: Random House Audio, Deutschland
  • Erscheinungsdatum: 26. April 2012
  • Preis 24,95 € (9,95 € im Audible-Flexi-Abo)
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Sprecher:
Gesamt:
7/10
Fazit:
Sehr spannender Illusionisten-Thriller mit rasantem Tempo, bei dem es Jeffery Deaver mit seinen Täuschungen aber maßlos übertreibt und dabei enorm an Glaubwürdigkeit einbüßt.

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