The_Detainee_Rezi

In der Zukunft ist die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer geworden und die demografische Entwicklung der Bevölkerung mit immer mehr alten Menschen hat die Gesellschaft zu drastischen Maßnahmen gezwungen. Die Alten wurden als Sündenböcke für den Zusammenbruch der sozialen Versorgung ausgemacht und müssen nun auf brutale Weise für die Fehler ihrer Regierung büßen: Wer bei einer Überprüfung der finanziellen Verhältnisse und der Möglichkeit zur Selbstversorgung durchfällt und somit nur noch als Last für die Gesellschaft gilt, wird auf die Insel abgeschoben, die nicht mehr als eine gigantische Müllkippe ist – sowohl für „echten Müll“, als auch für die wertlosen Mitglieder der Gesellschaft. Zu diesen Menschen zählt auch Clancy, 63 Jahre alt und in seinem früheren Leben Schläger für einen Mafioso. Nun muss „Big Guy“ seinen Lebensabend im Dreck verbringen und alle paar Nächte die brutalen Attacken gewaltbereiter Kids ertragen, die als Abschaum der Gesellschaft ebenfalls auf die Müllhalde deportiert wurden. Es ist ein jämmerliches Dasein – bis Clancy eine überraschende Entdeckung macht, die das Leben auf der Insel völlig auf den Kopf stellt…

Eine Dystopie mit umgekehrten Vorzeichen

Man kennt die klassischen Zutaten einer Dystopie mit Bestseller-Potenzial: junge Hauptfigur im Teenie-Alter, die in einer (aus welchem Grund auch immer) postapokalyptischen Welt lebt, von irgendwelchen höheren Instanzen unterdrückt wird und entdeckt, dass sie der oder die Auserwählte zur Rettung der Menschheit ist. In Peter Lineys Roman „The Detainee“ ist jedoch einiges anders. Zum einen ist der Protagonist keine zu Höherem berufene, gutaussehende 16-Jährige, sondern ein 63-jähriger Ex-Schläger, der nicht gerade durch übermäßige Intelligenz besticht und sich in seinem bisherigen Leben vorrangig auf seine beeindruckende Statur und Muskelkraft verlassen hat. Und um die Verhältnisse völlig auf den Kopf zu stellen, sind diesmal die Kinder die Bösen: brutale Jungen und Mädchen, die von der immer mehr verkommenden Gesellschaft keine anständige Erziehung erhalten haben, völlig in die Kriminalität abgerutscht sind und wie die Alten letztlich auf der Insel entsorgt wurden, wo man sie sich selbst überlässt. Zwar sorgen Überwachungssatelliten mit Laser-Kanonen dafür, dass es auf der Insel nicht zu gewalttätigen Übergriffen der Jungen auf die Alten kommt, doch sobald diesen nachts durch den aufziehenden Nebel die Sicht verdeckt ist, fallen die Kids über die Slums der Schwachen her und schlachten jeden ab, der sich nicht rechtzeitig retten kann. Es ist ein erschütterndes und hoffnungsloses Szenario, das Peter Liney hier aufzeigt, und zugleich auch eines, dass aufgrund der derzeitigen Bevölkerungsentwicklung wohl realistischer ist als so manch anderes Setting dieses Genres – und gerade das macht Clancys Situation so bedrückend.

Starke Charaktere, spannende Figurenkonstellationen

„The Detainee“ ist vielleicht nicht die spannendste und actionreichste Dystopie, die man auf dem Buchmarkt findet, aber sie ist dennoch zu jeder Zeit absolut packend, was neben dem erwähnten Szenario auch an den starken Charakteren liegt. Peter Liney hält die Anzahl der Figuren sehr überschaubar, was ihm aber die Möglichkeit bietet, ihnen trotz des eher geringen Umfangs des Buches erstaunliche Tiefe zu verleihen. Neben „Big Guy“ Clancy avanciert vor allem die blinde Lena zum heimlichen Star der Geschichte, die zwar selbst auf einer Insel voller Außenseiter noch ein einsames Dasein führt, aber mit dem harschen Leben wohl trotz ihres Handicaps besser zurecht kommt als alle anderen und Clancy & Co. damit wenigstens Anlass zur Hoffnung gibt, dass man das ständige Abschlachten nicht ewig wehrlos über sich ergehen lassen muss. Auch das Zusammenspiel der einzelnen Charaktere ist fesselnd, vor allem wenn Liney im späteren Verlauf die verschiedenen Altersgruppen nicht nur in blutigen Zweikämpfen aufeinandertreffen lässt.

Packender und gesellschaftskritischer Roman, der Lust auf die Fortsetzungen macht

Die Story legt zwar nicht unbedingt ein halsbrecherisches Tempo an den Tag und liefert auch nicht überraschende Wendungen am Fließband, ist dafür aber in sich sehr stimmig und schöpft das düstere Setting auch voll aus. Es muss nicht immer gleich die gesamte Menschheit auf dem Spiel stehen, manchmal ist es auch spannend genug, einem kleinen Mikrokosmos auf einer Insel beim Überlebenskampf zuzusehen. Wenn bei aller Unterhaltung dann auch noch eine gute Portion Gesellschaftskritik transportiert wird, kann man dem Autor eigentlich wirklich nur zu einem sehr gelungenen Werk gratulieren. „The Detainee“ ist sicherlich nicht für jeden etwas, aber wer von 16-jährigen Auserwählten erst einmal die Nase voll hat und eine „erwachsenere“ Dystopie sucht, wird hier sicherlich bestens bedient. Man sollte noch wissen, dass der Roman der Auftakt einer Trilogie ist und der zweite Band „Into the Fire“ bereits im Juli erscheinen wird, man kann das Buch aber meiner Meinung nach auch als eigenständige Geschichte betrachten und wird vom Ende nicht in der Luft hängengelassen. Somit kann man den ersten Teil auch gut zum Reinschnuppern nutzen und bleibt auch bei Nichtgefallen nicht mit einer halbfertigen Geschichte zurück.

The Detainee
  • Autor:
  • Deutscher Titel: Die Verdammten (13. Juni 2014)
  • Reihe: The Detainee Trilogy #1
  • Umfang: 289 Seiten
  • Verlag: Jo Fletcher Books
  • Erscheinungsdatum: 11. März 2014
  • Preis Geb. Ausgabe 21,08 €/eBook 5,40 €
Cover:
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Gesamt:
8/10
Fazit:
Eher ruhige, aber dennoch packende Dystopie mit originellem Setting, dichter Atmosphäre, starken Charakteren und intelligenter Gesellschaftskritik.

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