Hörbuchcover
Jon Krakauer war einer von 33 Bergsteigern, die im Frühjahr 1996 den Aufstieg auf den Mount Everest wagten. Rückblickend berichtet der Journalist über den dramatischen Verlauf der Expedition, die schließlich 12 Menschen das Leben kosten sollte.

Der amerikanische Journalist Jon Krakauer ist seit Kindertagen fasziniert von der Besteigung hoher Berggipfel, was nicht zuletzt auf die Freundschaft seines Vaters mit dem berühmten Bergsteiger Willi Unsoeld zurückzuführen ist, der in den 1960er Jahren der ersten amerikanischen Everest-Expedition angehörte. Im Erwachsenenalter geht Krakauer seiner Leidenschaft dann auch selbst aktiv nach und kombiniert seine abenteuerlichen Ausflüge mit seiner Tätigkeit als Autor, so schreibt er unter anderem für das Outdoor-Magazin „Outside“. Dieses beauftragt ihn 1996 mit einem Artikel, in dem sich Krakauer kritisch mit der zunehmenden Kommerzialisierung des Bergsteigens am höchsten Gipfel der Welt auseinandersetzen soll. Der Journalist beginnt mit den Recherchen und kommt schließlich zu dem Entschluss, selbst den Everest zu besteigen, um aus erster Hand über die Thematik berichten zu können.

Tatsachenbericht über das Drama am Mount Everest vom 10./11. Mai 1996

Nun ist Jon Krakauer zwar ein relativ geübter Kletterer, verfügt aber über keine größeren Erfahrungen im Extrem-Bergsteigen, wie es bei der Erklimmung eines 8000er-Gipfels eigentlich hilfreich wäre. Sein Auftraggeber finanziert ihm jedoch eine gut organisierte Expedition, die unter der Leitung des erfahrenen Bergführers Rob Hall zum Dach der Welt aufbrechen soll. Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen kann: Kurz nach Erreichen des Gipfels wird die Gruppe von einem Wetterumschwung überrascht, der sehr schnell in einem heftigen Schneesturm endet. Beim folgenden hochdramatischen Abstieg kommen insgesamt 12 der 33 aufgebrochenen Kletterer ums Leben. Krakauer schreibt anschließend zwar den Artikel für das Outdoor-Magazin, doch um die Tragödie in seinem vollen Ausmaß schildern und verarbeiten zu können, hat der der Amerikaner seine Erlebnisse zudem im Buch „In eisige Höhen“ verarbeitet.

Über das Extrembergsteigen und den höchsten Berg der Welt

Der Journalist beginnt seinen Tatsachenbericht direkt auf dem Gipfel des Mount Everest und nimmt den dramatischen Ausgang der Expedition gleich in den ersten Sätzen vorweg. Was nach einem fatalen Spannungkiller klingt, entpuppt sich jedoch schnell als kluger Schachzug, denn so hängt die Katastrophe im Folgenden wie ein Damoklesschwert über der Erzählung Krakauers und lässt mit dem Wissen über den dramatischen Ausgang so manche Schilderung ungleich folgenschwerer erscheinen. Jon Krakauer liefert anschließend eine detaillierte Aufbereitung der Ereignisse, beginnend mit dem Auftrag durch das „Outside“-Magazin und der Zusammenstellung der Expeditionsgruppe. Garniert wird das Ganze mit jeder Menge Hintergrundwissen über die Geschichte des Mount Everest, das der Autor immer wieder in kleinen Dosen an geeigneten Stellen einfließen lässt.

Die zunehmende Kommerzialisierung des Mount Everest

Die erste Hälfte konzentriert sich dabei weniger auf die Besteigung von 1996 selbst, sondern widmet sich zu großen Teilen dem Extrembergsteigen an sich. Krakauer setzt sich kritisch mit der immer stärker zunehmenden Kommerzialisierung der Everest-Expeditionen auseinander: Während in den Anfangsjahren noch ein gewisser Forscherdrang den Antrieb für die Bezwingung des 8848 Meter hohen Berges lieferte, ging es in der jüngeren Vergangenheit primär darum, möglichst viel Kapital aus dem Mythos „Mount Everest“ zu schlagen. Der Berg entwickelte sich immer mehr zur Touristenattraktion für abenteuerlustige Wohlhabende, die mithilfe gut ausgebildeter Bergführer nahezu ohne Vorkenntnisse eine Besteigung des Berges in Angriff nehmen können – wie es strenggenommen auch Krakauer selbst getan hat, wenn auch „getarnt“ als Recherchearbeit.

Spannend, informativ und selbstkritisch

Positiv hervorzuheben ist jedoch, dass der Autor seine persönliche Rolle während der Expedition selbst sehr gut einschätzen kann und sich einer gewissen Teilschuld an der Katastrophe nicht entziehen will. Er geht mit sich selbst und seinen Mit-Kletterern durchaus hart ins Gericht und sucht nach Gründen, wie es zur Tragödie vom 10. und 11. Mai 1996 kommen konnte. Diese Nachbetrachtung ist trotz der subjektiven Erzählweise erstaunlich sachlich und sehr interessant, gleiches gilt für die Schilderung des eigentlichen Unglückes, die vorrangig den zweiten Teil des Buches einnimmt. Minutiös schilert Krakauer Auf- und Abstieg am Berg und liefert ein genaues Protokoll des Everest-Dramas. Hier kommt dem Autor seine journalistische Erfahrung merklich zugute, denn Krakauer schreibt spannend, informativ und sehr anschaulich, sodass sich der Leser fast selbst als Mitglied der Expedition fühlen kann.

Gelegentlich etwas zu langatmig und detailbesessen, dafür aber mit tollem Sprecher

Allerdings muss man auch konstatieren, dass sich gewisse Längen in der Erzählung nicht verleugnen lassen, zudem schweift Jon Krakauer gelegentlich ab und kommt wiederholt von Hölzchen aufs Stöckchen, was manchmal zu sehr vom eigentlichen Fokus der Geschichte ablenkt. Außerdem ist er an manchen Stellen vielleicht etwas zu detailverliebt, was für Kenner der Materie sicherlich interessant sein mag, den Kletter-unerfahrenen Durchschnittleser hin und wieder aber etwas überfordern dürfte. Dafür hat die Hörbuchversion des Sachbuches noch einen Trumpf in der Hand, denn diese wurde von Christian Brückner eingelesen, den man als deutsche Synchronstimme von Robert De Niro kennt. Dessen engagierte und mitreißende Lesung macht das Hören noch einmal ein ganzes Stück unterhaltsamer.

Fazit:
Packende Schilderung der dramatischen Everest-Tragödie, die neben einer fesselnder Erzählung jede Menge Hintergrundwissen bietet und dabei noch einen kritischen Blick auf die Entwicklung des Extrembergsteigens wirft (7/10).

Autor: Jon Krakauer; Originaltitel: Into Thin Air; Sprecher: Christian Brückner; Spieldauer: 10 Std. 48 Minuten (ungekürzt); Anbieter: steinbach sprechende Bücher; Veröffentlicht: 2011; Preis: 9,95 €.

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