Autor: Sam Hawken
Umfang: 317 Seiten
Verlag: Tropen Verlag/Klett-Cotta
Erscheinungsdatum: 15. März 2012

Klappentext:
Ciudad Juárez, Mexiko, an der Grenze zu Texas. Zahlreiche Frauen verschwinden. Einheimische sagen, es seien mindestens 5000. Nur etwa 400 von ihnen wurden bislang gefunden – vergewaltigt und getötet. Sam Hawken verbindet die wahre Geschichte um die toten Frauen mit der Story von Kelly Courter, einem gescheiterten Boxer, der alles daransetzt, die Wahrheit herauszufinden …

Meine Buchbesprechung:
Die mexikanische Stadt Ciudad Juárez an der Grenze zu den Vereinigten Staaten von Amerika gilt als gefährlichste Stadt der Welt. Seit Jahren tobt dort ein erbarmungsloser Drogenkrieg, der unzählige Todesopfer fordert. Allein im Jahr 2010 wurden in Ciudad Juárez über 3000 Menschen ermordet, durchschnittlich sieben pro Tag. Die Stadt ist also nicht unbedingt ein Ort, an dem man gerne lebt, doch viele Bewohner haben keine andere Möglichkeit. Die vielen kleinen Montagebetriebe, die sogenannten „Maquiladoras“, locken Massen von Zuwanderern an, die für absolute Billiglöhne den ganzen Tag unter unwürdigen Bedingungen arbeiten, um ihre Familien ernähren zu können.

Ein abgehalfterter Boxer in der gefährlichsten Stadt der Welt

In Ciudad Juárez lebt auch der amerikanische Boxer Kelly Courter, der vor Jahren nach einem von ihm verursachten Verkehrsunfall mit Todesfolge aus den USA geflüchtet ist und sich in Mexiko nun mit kleinen Drogenverkäufen und zwielichtigen Boxkämpfen über Wasser hält. Obwohl er dort nur als Fallobst gebucht wird und sich regelmäßig eine Tracht Prügel abholt, hat er jedoch den Traum einer zweiten Boxkarriere immer noch nicht aufgegeben. Als dann aber seine Freundin Paloma spurlos verschwindet, bricht sein Leben aus allen Fugen…

5000 verschwundene Frauen seit 1993

Der texanische Autor Sam Hawken widmet sich mit seinem Debütroman „Die toten Frauen von Juárez“ einem ernsten und traurigen Thema, nämlich den mysteriösen Frauenmorden von Juárez. Seit 1993 verschwinden in der mexikanischen Grenzstadt nämlich immer wieder Frauen, laut den Einheimischen sind es bislang über 5000. Nur 400 der Vermissten konnten wieder aufgefunden werden, allerdings wurden nur ihre Leichen entdeckt. Viele der Opfer wurden zudem vergewaltigt oder bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Auch die Hauptfigur des Romans, der abgehalfterte Boxer Kelly Courter, ist indirekt von diesen Morden betroffen – und zwar durch seine Freundin Paloma. Diese ist nicht nur die Schwester seines befreundeten Drogendealers, sondern arbeitet zudem ehrenamtlich bei der Organisation „Mujéres Sin Voces“ – Frauen ohne Stimmen. In dieser haben sich mehrere Frauen zusammengetan, welche die Suche nach den Vermissten aufrechterhalten und den Angehörigen Trost und Hoffnung spenden.

Trister Alltag in einer Stadt geprägt von Armut, Drogen und Gewalt

Zunächst legt Sam Hawken den Fokus jedoch mehr auf seinen Protagonisten anstatt auf die Frauenmorde in Juárez. Zwar hängen an jeder Straßenecke Blätter mit vermissten Frauen und fordern „Justicia“ (Gerechtigkeit), doch der Leser begleitet vorrangig den Exil-Amerikaner durch seinen trostlosen Alltag. Zermürbende Boxkämpfe für einen kleinen Lohn, der dann direkt wieder in Drogen investiert wird und regelmäßige Ausflüge mit seinem Freund Estéban um Drogen zu verkaufen bilden den Alltag Kellys, die restliche Zeit lungert er weitestgehend herum und lebt in den Tag hinein. Schließlich trifft er dann aber die Entscheidung, sein Leben umzukrempeln und wieder seriöse Kämpfe zu bestreiten. Er beginnt mit hartem Training, bringt seinen Körper in Form und hält sich von seinem zwielichtigen Manager so weit es geht fern – bis Kelly schließlich einen Rückschlag erleidet und brutal in einen erneuten Alkohol- und Drogenexzess abstürzt. Als er wieder aus dem Delirium erwacht, ist seine Freundin Paloma verschwunden…

Ungewöhnliche und nicht immer fesselnde Erzählweise

Wer nun aber erwartet, dass der Boxer das Verschwinden Palomas untersucht und sich der Rest des Buches mit seinen Nachforschungen befasst, der wird kurz darauf überrascht, denn der Autor wechselt unerwartet die Perspektive. Statt Kelly Courter steht nun der Polizist Rafael Sevilla im Fokus der Geschichte, der zu dem Amerikaner ein annähernd freundschaftliches Verhältnis hat. Ohne jedoch nun zu viel von der Handlung verraten zu wollen, so bleiben die Frauenmorde von Juárez doch eher am Rande der Geschichte und bilden vielmehr den groben Rahmen für Sam Hawkens Erzählung.

Es dauert eine ganze Weile, bis sich in „Die toten Frauen von Juárez“ ein roter Faden herauskristallisiert, und ehrlich gesagt ist der erste Teil des Romans ein wenig dröge. So richtig geht die Geschichte nicht voran, stattdessen begleitet man weitestgehend die Hauptfigur beim Dahinvegetieren. Allerdings nutzt der Autor diese Phase, um den Schauplatz der Story zu beschreiben und dadurch eine recht trostlose Atmosphäre zu erzeugen. Armut, Drogen und Gewalt sind die Hauptzutaten des Lebens in Ciudad Juárez, das für seine Bewohner nur wenig Hoffnung bereithält. Viele leben in Angst vor den Auswirkungen des Drogenkrieges und wiederum andere sind von den „feminicidios“, den Frauenmorden, betroffen und haben nahe Angehörige verloren. Interessant wird die Geschichte eigentlich erst mit dem Wechsel der Hauptfigur hin zum Polizisten Sevilla. Nun zeigt sich auch die andere Seite der Medaille, denn auch von Seiten des Staates geht viel Brutalität aus. Willkürlich geht die Polizei gegen Verdächtige vor und erzwingt mit Folter falsche Geständnisse, um offene Fälle abschließen zu können – ohne Rücksicht darauf, ob der oft thematisierten „justicia“ auch wirklich genüge getan wird.

Erweiterte Spanischkenntnisse von Vorteil

Der Schreibstil von Sam Hawken ist überwiegend recht angenehm, allerdings schafft er es nicht immer, seine Geschichte wirklich fesselnd zu erzählen. Viele Passagen des Romans wirken ein wenig langatmig und bringen die Handlung nicht merklich voran. Was mir persönlich sehr negativ aufgestoßen ist sind die vielen Stellen, an denen Worte oder auch ganze Sätze in spanischer Sprache geschrieben wurden. Dies kommt sehr häufig vor und ist für diejenigen ohne Spanischkenntnisse auf Dauer sehr anstrengend – denn Hawken liefert dem Leser keine Übersetzung dieser Stellen. Manches kann man sich zwar noch irgendwie ableiten, doch oft versteht man einfach nichts, was vor allem deshalb ärgerlich ist, weil der Gebrauch der spanischen Wörter oft einfach nur überflüssig ist. Denn es spricht doch eigentlich nichts dagegen, z.B. den Ausdruck „Heroin“ statt „chinaloa“ zu benutzen. Außerdem scheint der Autor einen kleinen Nahrungs-Fetisch zu haben, denn ständig holen sich seine Charaktere etwas zu essen. Dabei wird nicht nur im Einzelnen geschildert, woraus genau die Mahlzeit besteht, sondern immer auch, ob der Snack gut zubereitet wurde und wie es schmeckt – fehlt nur noch das entsprechende Kochbuch zum Roman…

Schlussfazit:
Sam Hawken verfolgt mit seinem Roman „Die toten Frauen von Juárez“ ein ehrenwertes Ziel. Wie er in seinem Nachwort angibt, möchte er damit die Frauenmorde wieder ein wenig ins Blickfeld der Öffentlichkeit rücken, sodass die Polizei und die Regierung Mexikos gezwungen sind, stärker zu intervenieren. Es bleibt zu hoffen, dass der Autor in dieser Hinsicht Erfolg hat, denn die Problematik wird auf erschütternde Weise geschildert und macht einen als Leser schon ein wenig betroffen.

Lesenswerter Roman mit ehrenwerter Motivation aber Schwächen in der Erzählweise

Leider schafft es Hawken aber nicht immer, das Thema in eine mitreißende Geschichte zu verpacken, denn die Handlung plätschert oft vor sich hin, ohne dabei allzu große Spannung zu erzeugen. Erst ab der zweiten Hälfte nimmt das Buch an Fahrt auf und kann weitestgehend überzeugen, vor allem der dramatische Showdown wirkt noch eine Weile nach. Atmosphärisch ist „Die toten Frauen von Juárez“ hingegen sehr dicht und fängt die Hoffnungslosigkeit in der mexikanischen Grenzstadt gut ein. Insgesamt ergibt sich so ein zwar lesenswertes Buch, das aber eher in Richtung Drama statt Kriminalroman geht und dem ein wenig mehr Tempo sicherlich nicht geschadet hätte.

Meine Wertung: 7/10

Informationen:
Der Titel „Die toten Frauen von Juárez“ von Sam Hawken ist im Tropen Verlag (Klett-Cotta) erschienen und hat einen Umfang von 317 Seiten. Das Buch kann für 19,95 € hier bestellt werden. An dieser Stelle auch vielen Dank an Klett-Cotta und Bloggdeinbuch.de, die mir das Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt haben!

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2 Antworten zu diesem Beitrag

  • Danke für die ausführliche und ehrliche Rezension! Ich hatte das Buch auch schon in der Hand, aber letztendlich habe ich es doch nicht mitgenommen. Eigentlich reizt es mich immer noch, aber was du schreibst (v.a. auch das mit den spanischen Sätzen und den drögen ersten Teil) macht mich doch nachdenklich. Es bleibt wohl weiterhin ein Wackelkandidat. Ich musste aber bei dem Ausdruck „Fallobst“ sehr lachen.

    • Vielen Dank für deinen Kommentar! Das Buch ist halt mehr ein Kriminaldrama, da fehlt es ein wenig an Thrill – ist eben Geschmacksache.

      Der Ausdruck „Fallobst“ ist beim Boxen aber durchaus üblich, habe mich da vorsichtshalber gerade nochmal vergewissert 😉