Tags: Afrika, Diskriminierung, Feminismus, Magie, Vergewaltigung, Völkermord
Genre: Fantasy, Science Fiction
Seit Jahrzehnten wird Afrika von brutalen Völkermorden geprägt, immer wieder kommt es zu gewalttätigen Übergriffen des Stammes der Nuru auf die vermeintlich minderwertigen Okeke. Dörfer werden zerstört und niedergebrannt, Männer bestialisch abgeschlachtet und die wehrlosen Frauen und Kinder mitten in der Wüste vergewaltigt und anschließend ermordet oder zum Sterben zurückgelassen. Eine Frau jedoch überlebt die Auslöschung ihres Dorfes und die brutalen Übergriffe der Nuru und schleppt sich alleine durch das Land, wo sie das Kind ihres Vergewaltigers zur Welt bringt und gegen alle Widrigkeiten aufzieht. Als Mutter und Tochter nach Jahren aber in die Zivilisation zurückkehren, wird das junge Mädchen von allen wie eine Aussätzige behandelt, da ihr andersartiges Äußeres ein eindeutiges Zeichen für die schrecklichen Umstände ihrer Zeugung ist. Onyesonwu hat aber gelernt, mit den abwertenden Blicken und verbalen Angriffen zu leben, doch als sie dann entdeckt, dass sie offenbar über besondere Fähigkeiten verfügt und von einer uralten Prophezeiung zu etwas höherem berufen ist, setzt sie alles daran, ihr Volk aus der Unterdrückung zu führen und die Zeit der Völkermorde ein für allemal zu beenden.
Eine Kindheit im Schatten von Völkermord und Diskriminierung
Es gibt Bücher, die fangen angenehmer an als Nnedi Okorafors in einem postapokalyptischen Afrika angesiedelter Fantasy-Roman „Who Fears Death“: Schon in den ersten Kapiteln wird man als Leser Zeuge der brutalen Auslöschung eines Dorfes, der fast alle Einwohner zum Opfer fallen, einer grausigen Massenvergewaltigung und einer weiblichen Genitalverstümmelung als Ritual des Erwachsenwerdens – harter Tobak, der aber sofort auf einen Großteil der Probleme und Grausamkeiten aufmerksam macht, welche diese Geschichte prägen: Völkermord, Rassismus, Diskriminierung. Und so schlimm dieser Einstieg mit all seinen erschütternden und nur schwer verdaulichen Szenen auch ist – er sorgt dafür, dass man umgehend in die Geschichte hineingezogen und ein Teil der Welt wird, mit welcher sich die junge Protagonistin Onyesonwu jeden Tag auseinandersetzen muss. Sie hat dabei ein besonders schweres Schicksal zu bewältigen, denn als „Ewu“, dem Kind einer Okeke-Frau, die von den verfeindeten Nuru vergewaltigt wurde, verkörpert sie all den Schmerz, den ihr unterdrücktes Volk über sich ergehen lassen muss und wird zur einer Zielscheibe der Wut und Verachtung, die eigentlich den brutalen Invasoren gilt.
Die klassische Außenseiterstory vor ungewöhnlichem Hintergrund
Wie das aber in solchen Geschichten nun einmal so ist, scheint ausgerechnet diese ausgestoßene Außenseiterin laut einer alten Prophezeiung diejenige zu sein, die ihr Volk von der Unterdrückung durch die Nuru befreien kann. So entdeckt Onyesonwu plötzlich magische Fähigkeiten, wird von einem Mentor in der Beherrschung ihrer Fertigkeiten unterrichtet und begibt sich dann auf eine Reise, die nicht nur ihr eigenes Schicksal, sondern das ihrer gesamten Welt verändern kann – im Prinzip also die typische Geschichte einer typischen Auserwählten in einem typischen Fantasyroman. Das Besondere an „Who Fears Death“ ist nun aber das für europäische Lesegewohnheiten sehr ungewöhnliche Setting, das nicht nur geografische Eigenheiten wie trockene und spärlich besiedelte Wüstenregionen bietet, sondern auch kulturell eine ganz andere Welt darstellt. So ist es z.B. schon eine Herausforderung, einer weiblichen Beschneidung literarisch beizuwohnen und das Gelesene zu verarbeiten und auch die vielen fremdartigen Begriffe und Mythologien erfordern eine gewisse Eingewöhnungszeit. Atmosphärisch ist Okorafors Roman dadurch aber ein ganz besonderes Erlebnis und weist alleine dadurch schon ein gewisses Alleinstellungsmerkmal auf.
Austauschbare Story und anstrengende Charaktere
Leider können die Story und ihre Charaktere daran aber meiner Meinung nach nicht anknüpfen. Die Auserwählten-Geschichte ist wie oben erwähnt sehr austauschbar und hebt sich eigentlich nur durch das Afrika-Setting von anderen Vertretern des Genres ab, zudem gerät Onyesonwus eigentliche Mission durch viel zu viele und überflüssige Nebenkriegsschauplätze häufig ins Hintertreffen und auch wenn es gerade aus der Hand eines männlichen Rezensenten blöd klingt: Oft hat man das Gefühl, als würde die sehr ausgeprägte Feminismus-Thematik des Buches der Geschichte im Wege stehen. Bei derart schockierenden Problemen wie Vergewaltigungen und Diskriminierung, die in vielen Regionen Afrikas fast schon auf der Tagesordnung stehen, ist es nur allzu nachvollziehbar, dass Nnedi Okorafor in ihrem Roman starke weibliche Charaktere erschaffen möchte, allerdings ist die Autorin oft so sehr damit beschäftigt, mit wiederholten Schilderungen des ausgeprägten Sexuallebens ihrer Figuren die Unabhängigkeit ihrer Heldinnen zu betonen, dass sie darüber hinaus die Persönlichkeiten dieser Charaktere völlig vergisst. Onyesonwu „Reisegruppe“ besteht nicht nur aus weitestgehend austauschbaren Figuren, sondern verliert mit zunehmender Dauer ihrer Odyssee auch immer mehr Sympathien und nervt oft mit permanenten gegenseitigen Anfeindungen und scheinbar willkürlichen Stimmungsschwankungen.
Enttäuschender Fantasyroman, der hauptsächlich mit dem exotischen Setting punktet
Ein weiteres Ärgernis ist Okorafors Erzählweise. Oft hat man das Gefühl, irgendetwas zu verpassen, weil die Autorin ihre Charaktere wie selbstverständlich über Dinge reden lässt, von denen der Leser keine Kenntnis hat – was womöglich zum Spannungsaufbau beitragen soll, sorgt lediglich dafür, dass man sich als Leser ein wenig dumm vorkommt. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft das postapokalyptische Setting, denn von einer vergangenen Apokalypse oder einem Zusammenbruch der vorherigen Weltordnung ist so gut wie nichts zu spüren, mit Ausnahme der gelegentlichen Erwähnung einiger Überreste der vorherigen Zivilisationen wie alte Computer und ähnlichem Technikschrott. Wer also vorrangig wegen des Dystopie-Aspekts an diesem Buch interessiert ist, sollte darum vielleicht besser einen Bogen machen. Zu guter letzt kann auch die Auflösung der Geschichte nicht überzeugen, da sie für mich in vielen Punkten nicht schlüssig ist und auch keine zufriedenstellende Lösung zur Beendung des Genozids und der damit verbundenen Gräueltaten liefert – hier macht es sich die Autorin meiner Meinung nach viel zu einfach. Somit ist „Who Fears Death“ für mich leider eine Enttäuschung, da ich den Roman nicht wegen der Feminismus- oder Rassismus-Thematik ausgewählt habe, sondern einfach eine gute Geschichte mit starken Charakteren in einem außergewöhnlichen Setting erzählt bekommen wollte – Nnedi Okorafors Werk kann von diesen Punkten aber wenn überhaupt nur mit letzterem überzeugen.
Cover: | |
Charaktere: | |
Story: | |
Atmosphäre: |
5/10