Der Lord Ruler ist besiegt, doch nach dem Sturz des über Jahrhunderte herrschenden Tyrannen ist das Final Empire nach wie vor weit davon entfernt, ein Reich des Friedens zu sein. Zwar wurde das Volk der Skaa von der Unterdrückung durch die Machthaber befreit, nach der Rebellion ist das Land und vor allem das Machtzentrum Luthadel aber in großem Aufruhr. Während der neue Herrscher Elend versucht, seinem Volk ein guter und gerechter König zu sein und demokratische Gesetze zu etablieren, tobt hinter den Kulissen ein erbitterter Kampf um die Nachfolge des Lord Ruler, denn aus den Reihen der Oberschicht erhält Elend bei seiner Reformpolitik nur wenig Unterstützung. Diese ist aber dringend notwendig, um Luthadel vor einer ganz akuten Gefahr zu schützen, denn vor den Toren der Stadt hat sich eine gewaltige Armee versammelt, die nur auf den richtigen Zeitpunkt wartet, um eine Schwäche Elends auszumachen und die Stadt einzunehmen – und Anführer der Streitkräfte ist niemand anderes als Elends eigener Vater…
Immer noch kein Frieden im Final Empire – ganz im Gegenteil…
Man könnte meinen, dass nach dem Sieg der von Kelsier und Diebin Vin angeführten Rebellen über den grausamen Lord Ruler in „The Final Empire“, dem Auftaktband von Brandon Sandersons Mistborn-Reihe, endlich Frieden im Land eingekehrt ist und das Final Empire glorreichen Zeiten entgegenblicken kann, doch mit dem Sturz des Tyrannen scheint die Situation fast noch schwieriger geworden zu sein als zuvor. Während die unerbittliche Herrschaft des Lord Ruler über Jahrhunderte hinweg dem Reich zumindest eine gewisse Stabilität verlieh und dieser das Land schon fast alleine aufgrund seines gefürchteten Rufs und seiner unheimlichen Präsenz unter Kontrolle hielt, kämpft gerade die Hauptstadt Luthadel auch ein Jahr nach der Rebellion noch immer um Ordnung und Sicherheit. Mit Vins Vertrautem Elend hat zwar ein gutmütiger und um das Wohl seines Volkes besorgter König zumindest offiziell die Nachfolge des Lord Ruler angetreten, im ernüchternden Alltag muss der junge Herrscher aber nicht nur um die Anerkennung seiner neuen Machtposition kämpfen, sondern die Stadt auch gegen machthungrige Konkurrenten verteidigen – der gefährlichste davon sein eigener Vater. Es gibt also noch viel zu tun auf dem Weg zum Frieden, und so überrascht es nicht, dass auch der zweite Teil „The Well of Ascension“ wieder auf einen stattlichen Umfang von mehr als 750 Seiten kommt.
Komplexer, aber damit auch deutlich interessanter als der Vorgänger
Während die Handlung im Auftaktband noch weitestgehend überschaubar war und sich vorrangig auf die schier unmögliche Rebellion einer kleinen Gruppe gegen den Lord Ruler konzentrierte, gibt es in „The Well of Ascension“ nun deutlich mehr Baustellen und somit auch mehr Nebenhandlungen. Das Buch konzentriert sich zwar auch nach wie vor überwiegend auf zwei Hauptfiguren (Vin und „Kelsier-Ersatz“ Elend), dennoch gibt es diesmal viel mehr zu entdecken und zu tun: Ein Spion in den eigenen Reihen muss enttarnt, die Verteidigung der Stadt geplant und unliebsame Allianzen mit den Belagerern Luthadels ausgehandelt, neue Gesetze durchgesetzt und Reformen vorangetrieben werden. Dazu kommt die fortdauernde Suche nach dem geheimnisvollen elften Metall, die Aufarbeitung der Historie des Final Empire um die mysteriöse Person des „Hero of Ages“, des vermeintlichen Erlösers des Reiches, rätselhafte Verfolger im Nebel, unerklärliche Ereignisse im ganzen Land und und und. Im Vergleich zum eher geradlinigen „The Final Empire“ platzt das zweite Buch fast aus allen Nähten und alle einzelnen Elemente werden so spannend erzählt, dass man sich als Leser kaum entscheiden kann, welche Auflösung eines Handlungsstranges man zuerst anstreben möchte. „The Well of Ascension“ ist zwar deutlich komplexer als der erste Teil, überfordert seine Leser aber trotz der vielen Details nicht und steigert den Schwierigkeitsgrad auf sehr angenehme Weise. Dass man nicht den Überblick verliert könnte auch daran liegen, dass Brandon Sanderson seine Geschichte wie schon im Vorgänger größtenteils auf den Schauplatz Luthadel beschränkt und nur vereinzelte und kurze Ausflüge in weiter entfernte Orte unternimmt. Es ist zwar ein wenig schade, dass man nach wie vor nicht viel vom gesamten Final Empire zu sehen bekommt, alleine in Luthadel gibt es aber so viel zu entdecken, dass dies beim Lesen kaum auffällt.
Ein Charakter spannender als der andere
Ein großer Trumpf des zweiten Bandes sind natürlich auch wieder Sandersons Charaktere, wobei besonders Vin und Elend als absolute Sympathieträger herausragen. Während Vin ein wenig von innerer Zerrissenheit geplagt ist, ihren Platz an der Seite des neuen Königs sucht und auch ihre Rolle als Mistborn immer wieder hinterfragt, kämpft Elend in erster Linie mit moralischen Grundsätzen und dem eigenen Gewissen. Es gibt zwar immer wieder Situationen wo man einem oder beiden am liebsten in den Hintern treten will – z.B. wenn Vin sich wieder mal als nicht gut genug für Elend betrachtet oder Elend so sehr an seinen noblen Prinzipien festhält, dass er seine eigene Position dadurch schwächt, doch gerade diese kleinen Konflikte und Schwächen sind es eben auch, welche die Protagonisten so lebendig werden lassen. Doch auch abgesehen von den beiden Hauptfiguren hat dieser Roman so viele großartige und spannende Charaktere zu bieten: Sazed, den Gelehrten und Bewahrer der Geschichte, den seine Rasse eigentlich zu Neutralität verpflichtet, der sich aber dennoch auf die Seite der Guten schlägt, oder OreSeur, ein zum Sklaven-Dasein verdammtes Wesen, hinter dem auch so viel mehr steckt als es den Anschein hat oder den geheimnisvollen Zane, bei dem man nie genau einschätzen kann, ob er nun Bedrohung oder Vertrauter ist.
Grandiose Weiterführung der Geschichte
Auch „The Well of Ascension“ ist für mich nicht perfekt und ich hätte mir wirklich langsam mal ein paar detaillierte Einblicke über die Stadtgrenzen Luthadels hinausgewünscht oder wurde hin und wieder der leicht repetitiven Kampfszenen mit dem ständigen Münzen-Herumwerfen etwas überdrüssig, dennoch hat mir der zweite Band deutlich besser als der auch schon wirklich gute erste Teil gefallen. Das liegt einfach daran, dass es in diesem Buch so wahnsinnig viel zu entdecken gibt und ein Geheimnis einfach spannender als das nächste ist. Ich habe die Geschichte trotz des enormen Umfangs zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise als langatmig empfunden – im Gegenteil: Ich war fast traurig als das Buch vorbei war und ich den dritten Teil „The Hero of Ages“ nicht sofort zur Hand hatte um nach dem erneut dramatischen, verblüffenden und auf gewisse Weise auch überwältigenden Ende umgehend weiterlesen zu können. Von einem uninspirierten Übergangsband ist „The Well of Ascension“ also weit entfernt und es wird sicher nicht mehr lange dauern, bis ich erneut in den Nebel des Final Empire eintauchen werde.
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Charaktere: | |
Story: | |
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9/10