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Jamie Morton ist gerade mal sechs Jahre alt, als Charles Jacobs, der neue Geistliche im beschaulichen Harlow, in sein Leben tritt und wie auf viele Bewohner der Stadt übt der Pfarrer auch auf den Jungen einen großen Einfluss aus. Mr. Jacobs ist jung und freundlich, hat eine hübsche und ebenso sympathische Frau und bringt ab dem ersten Tag frischen Wind in das etwas eingestaubte Gemeindeleben. Er zeigt sich zudem stets sehr engagiert, lässt mit seinen modernen Predigten die Bürger in Scharen in die Kirche strömen und gewinnt auch die Herzen der Kinder und Jugendlichen mit seiner aufregenden Jugendgruppe, in welcher er auf spielerische Weise christliche Lehren mit seiner ganz persönlichen Begeisterung für Naturwissenschaften kombiniert und die jüngsten Mitglieder seiner Gemeinde mit spannenden Experimenten fasziniert. Nicht nur für Jamie Morton wird Mr. Jacobs dadurch in kürzester Zeit zu einem wahren Freund, bis ein schwerer Schicksalsschlag die heile Welt des Pfarrers von einem Moment auf den anderen völlig einstürzen lässt und auch das Leben von Jamie für immer verändert…

Der Meister des Grauens kehrt zum Horror zurück

Mit großer Spannung wurde Stephen Kings neuer Roman „Revival“ erwartet, schließlich sollte der Meister des Grauens nach zuletzt einigen Ausflügen ins Drama- („Der Anschlag“, „Joyland“) oder Krimi-Genre („Mr. Mercedes“) mit seinem aktuellen Werk wieder zu seinen Wurzeln und damit zum klassischen Horror zurückkehren. Dass Mr. King aber nicht sofort mit Schreckensszenen um sich wirft und seine Leser ab der ersten Seite schockt, sollte erfahrenen King-Lesern jedoch mittlerweile klar sein, denn auch bei „Revival“ hat der Bestsellerautor vor die Gänsehaut wieder die berühmte King’sche Einleitung gestellt und wie so oft beginnt die Geschichte in einer Kleinstadt in Maine, wo die Leser schon gleich zu Beginn die Bekanntschaft mit den beiden prägenden Figuren der nachfolgenden Handlung machen: dem zu diesem Zeitpunkt – King setzt mit seiner Geschichte im Herbst 1962 ein – 6-jährigen Jamie Morton und dem jungen Charles Jacobs, der als neuer Pfarrer in das gemütliche Harlow kommt. Wer sich vom Klappentext des Buches schon hat spoilern lassen und in Mr. Jacobs den großen Antagonisten der Geschichte erwartet, der wird sich anfangs aber wohl verwundert die Augen reiben, denn einen sympathischeren Charakter muss man selbst in Kings beeindruckender Bibliographie lange suchen: Jacobs ist charismatisch, hilfsbereit, freundlich und für einen Geistlichen der 1960er Jahre erstaunlich aufgeschlossen, was sich nicht nur in seinen modernen Predigten, sondern vor allem in seiner Verbindung des Christentums mit den Gesetzen der Physik zeigt. Für Jacobs schließen sich Glaube und Wissenschaft nicht aus, er zeigt gerade den jungen Schäfchen seiner Gemeinde, dass Gottes Kraft auch in kleinen Dingen des Alltags zu finden ist – beispielsweise mit einem elektronisch gesteuerten Jesus-Modell. Um es auf den Punkt zu bringen: Jacobs würde mit seinem Charme und seiner Begeisterung wohl auch eingefleischte Relgionsmuffel zum sonntäglichen Kirchgang motivieren.

Vom charismatischen Reformieren zum radikalen Fanatiker in fünf Jahrzehnten

Es ist die nahezu perfekte Kleinstadt-Idylle, bis eine schlimme Tragödie auf einen Schlag alles zum Einsturz bringt und dafür sorgt, dass Charles Jacobs für alle unerwartet von seinem Glauben abfällt – und dies auch auf sehr drastische Weise kundtut. Ein auch für die Leser schmerzhaftes Erlebnis, das aus Jacobs aber immer noch nicht das angekündigte Prediger-Monster macht. Dies ist nämlich eine Entwicklung, die sich schleichend über Jahrzehnte hinweg hinziehen wird – und King ist gewillt, sein Publikum an diesem langsamen Abstieg teilhaben zu lassen. Allerdings bleibt der Fokus dabei stets auf Jamie Morton gerichtet, dessen Leben mit seinen wenigen Höhen und vielen Tiefen der Autor in aller Ausführlichkeit schildert. Für seine Leser bedeutet dies in erster Linie, dass sie für „Revival“ wieder einmal eine große Portion Geduld mitbringen müssen. Das ist man als regelmäßiger Leser des Horror-Meisters zwar gewohnt, allerdings stellt die diesmal wirklich sehr langsame Erzählung selbst eingefleischte Fans auf die Probe – der angekündigte Horror ist nämlich sehr lange Zeit nicht einmal ansatzweise in Sicht. Das an sich ist in erster Linie noch kein Problem, schließlich hat King gerade zuletzt häufig bewiesen, dass er auch ohne beängstigende Clowns, mörderische Krankenschwestern oder dem Wahnsinn verfallende Schriftsteller ein grandioser Geschichtenerzähler ist. „Revival“ fehlt aber nicht nur ein echter roter Faden, King leistet sich hier auch ungewohnte Schwächen in der Charakterentwicklung. Während der Niedergang des Predigers Jacobs noch glaubwürdig geschildert wird, bleibt die Figur des Jamie Morton über nahezu die gesamte Distanz blass. Selbst schwere Schicksalsschläge werden eher beiläufig erzählt und würde King sie nicht von Zeit zu Zeit in Erinnerung bringen – man würde ihren Einfluss auf Jamie kaum selbst bemerken. Das ist schade, denn Kings Geschichten waren immer welche, die zu großen Teilen auch durch ihre Charaktere lebten und dadurch auch häufig über langatmige Story-Durchhänger hinweggetäuscht haben. Durch den Wegfall einer starken Hauptfigur ist die schier unglaublich lang erscheinende Einleitungsphase – die im Prinzip 90% der Geschichte einnimmt – jedoch gleich doppelt mühsam.

Scheitert nicht am fehlenden Horror, sondern am langatmigen Plot und blassen Charakteren

Man gelangt beim Lesen (oder Hören) irgendwann zu der Erkenntnis, dass „Revival“ eindeutig mit seinem Ende steht oder fällt. Von Werbetexten wie „[…] beängstigendes, auswegloses Ende […], wie es selbst Stephen King bislang nicht zu Papier gebracht hat“ geködert und in der Erwartungshaltung entsprechend angestachelt fiebert man dem großen Knall entgegen, der dann aber auch ein wenig verpufft. Der Schluss von „Revival“ ist ohne Frage intensiv und bietet auch endlich die langersehnten Horror-Elemente, als wirklich verstörend habe ich ihn hingegen nicht empfunden, hier haben mich andere King-Romane definitiv mehr mitgenommen. Den emotionalen Höhepunkt hat „Revival“ für mich bereits ziemlich zu Anfang mit der Szene, welche den Stein ins Rollen bringt und aus dem engagierten Geistlichen über Jahrzehnte hinweg einen verbitterten Radikalen macht. „Revival“ scheitert für mich nicht am die meiste Zeit über fehlenden Horror, sondern an einer viel zu langatmig geratenen Story mit einer blassen Hauptfigur. Da kann auch die wie gewohnt beeindruckende Lesung David Nathans in der Hörspielfassung diesmal nicht viel rausreißen – dafür wird er von der Vorlage schlicht einfach auch zu wenig gefordert.

Revival
  • Autor:
  • Sprecher: David Nathan
  • Original Titel: Revival
  • Länge: 14 Std. 54 Min. (ungekürzt)
  • Verlag: Random House Audio, Deutschland
  • Preis 13,95 € (9,95 € im Audible-Flexi-Abo)
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Sprecher:
Gesamt:
6/10
Fazit:
Stephen Kings mit Spannung erwartete Rückkehr zum Horror-Genre kann mit „Revival“ leider die hohen Erwartungen nicht erfüllen und langweilt mit einer ermüdenden Story und einer farblosen Hauptfigur, sodass selbst das intensive Finale seiner verstörenden Wirkung beraubt wird.

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Eine Anwort zu diesem Beitrag

  • Hallo Sebastian,

    was die ‚Blässe‘ der Hauptfigur Jamie angeht, kann ich deine Kritik insofern nachvollziehen, als Charlie eigentlich die interessantere Figur ist und King in anderen Romanen schon fesselndere Protagonisten erschaffen hat. Ich war trotzdem schnell auf Jamie’s Seite und fand ihn ‚rund‘.

    Der Schluss hat mich offenbar viel mehr beeindruckt als dich. Es war noch nicht mal die Gestaltung des Schlusses, sondern dessen Tragweite. Was das bedeutet für den Sinn des Lebens, oder wie man es gestaltet, wenn es doch dann… du weißt schon. Will hier nicht spoilern. Aber der Nihilismus hat mich schon umgehauen. Das sind eben so Fragen, die man sich selbst manchmal stellt, und mit zunehmendem Alter immer häufiger. Wenn DAS die Antwort ist, dann bleibt eigentlich gar kein Ausweg. Zumindest scheint sich King mit solchen Ängsten auseinanderzusetzen.
    Bin ich zu philosophisch unterwegs? Vielleicht. Aber mir ist das Ende deshalb so nachgelaufen.

    LG,
    Ute