Kategorie: Rezension
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Bird Box_Rezi

Vier schwere Jahre lang hat Malorie sich und ihre Kinder auf diesen Tag vorbereitet. Ihre Kinder, die seit ihrer Geburt noch nie das Tageslicht gesehen und die Sicherheit des eigenen Hauses nur mit einer Augenbinde verlassen haben. Ein Haus, dessen Fenster mit Bettlaken und Holzbrettern verkleidet sind, damit selbst der kleinste Lichtstrahl nicht aus der Außenwelt in den letzten verbliebenen Rückzugsort eindringen kann. Denn wenige Monate vor der Geburt der Kinder hat sich die Welt radikal verändert und jede Sekunde an der freien Luft könnte den Tod bedeuten. Dort draußen lauert etwas, das Millionen Menschen bereits das Leben gekostet und das auch Malorie für immer vom Rest ihrer Familie getrennt hat. Doch nun ist der Tag gekommen, an dem Malorie mit ihren Kindern das sichere Haus verlassen muss, denn sie weiß dass sie ihre Tochter und ihren Sohn nicht ewig beschützen kann und sie muss alles riskieren, wenn sie ihnen zumindest die Chance auf ein besseres Leben bieten will…

Ein einfaches, aber höchst effizientes Ausgangsszenario

Es gibt Bücher, die schaffen es mit einfachsten Mitteln, eine packende Atmosphäre zu erzeugen und ihre Leser zu fesseln – und Josh Malermans Debütroman „Bird Box“ zählt ohne jede Frage zu dieser Kategorie. Es gibt eine Protagonistin, kaum mehr als eine Handvoll Nebenfiguren und streng genommen nicht viel mehr als einen einzigen Schauplatz, nämlich das Haus, in dem Malorie und ihre Kinder seit vier Jahren ein Leben in Einsamkeit, Angst und strikter Selbstkontrolle führen. Alleine die Vorstellung, dass zwei kleine Kinder in ihrem ganzen Leben noch nie die Außenwelt gesehen haben, ist erschreckend und wird noch verstörender, wenn man erfährt, wie streng der Junge und das Mädchen in diesen vier Jahren erzogen wurde. Immer wieder wurden ihnen mit verbundenen Augen die unterschiedlichsten Geräusche vorgespielt, um das Gehör zu perfektionieren und die Kinder auf die Gefahren der Außenwelt vorzubereiten; gescheiterte oder aufgegebene Versuche wurden stets rigoros mit Essensentzug oder ähnlichen Methoden bestraft. Trotz dieser erzieherischen Härte spürt man jedoch ab der ersten Seite die enorme Liebe Malories zu ihren Kindern – und das, obwohl die beiden Vierjährigen nicht einmal Namen haben. Malorie ist davon überzeugt, dass nur das unerbittliche Training und der absolute Gehorsam dazu führen, dass ihre Kinder und sie den Tag überleben, der nach all den Jahren nun endlich gekommen ist.

Nüchterne Erzählweise, subtiler Grusel

Wohin sich die drei im Schutz des morgendlichen Nebels auf den Weg machen bleibt dabei genauso im Unklaren wie eine Erklärung für das vorangegangene Einsiedlerleben. Auf einer zweiten Erzählebene schildert Josh Malerman lediglich rückblickend, wie sich die Welt in den Jahren zuvor verändert hat – jedoch auch hier auf die Perspektive Malories beschränkt. So erfahren wir z.B. anhand von Medienberichten, wie in Russland plötzlich seltsame Vorfälle aufgetreten sind, die sich nach und nach auch auf Amerika ausgebreitet und immer mehr Menschen in den Wahnsinn getrieben haben, bis die Gesellschaft Schritt für Schritt immer weiter zusammengebrochen ist. Und je mehr man über diese rätselhaften und vor allem äußerst erschreckenden Phänomene liest, desto größer wird beim Leser das Gefühl des akuten Unwohlseins. Überraschend ist dabei, dass sich der Grusel einstellt, obwohl Josh Malerman die meiste Zeit sehr kühl und distanziert erzählt – vielleicht macht aber auch gerade diese Nüchternheit das Setting von „Bird Box“ noch beängstigender. Selbst wenn im Vergangenheits-Handlungsstrang und dem darin aufgegriffenen Gruppen-Szenario mal kurz ein bisschen Menschlichkeit aufblitzt, so ist das Miteinander der Überlebenskämpfer doch vorrangig von Misstrauen und Anspannung geprägt. Allerdings trägt auch diese dargestellte Gruppendynamik viel zur Spannung der Geschichte bei.

Verstörender Nervenkitzel mit intensiver Sogwirkung

So intensiv die Atmosphäre des Buches aber auch ist: „Bird Box“ setzt auf eine ganz spezielle und subtile Art des Horrors und wird selbst trotz einiger durchaus drastischer Szenen wohl kaum den Geschmack der breiten Masse treffen. Gerade die sehr minimalistische Handlung dürfte die Gemüter spalten, denn streng genommen kann man die Geschichte darauf reduzieren, dass verängstigte Menschen sich vor der Außenwelt verstecken oder mit Augenbinden durch die Gegend stolpern. Wenn man sich aber darauf einstellt, dass man es hier nicht mit einem reißerischen Splatterroman zu tun hat und sich auf die Story einlassen kann, ist „Bird Box“ wirklich in der Lage, ein Kopfkino der erschreckendsten Sorte zu erzeugen. Denn vor allem die Ungewissheit ist es bei diesem Buch, die einen nach und nach in den Wahnsinn führt – einmal von der düsteren Atmosphäre gefangengenommen, kann man sich der extremen Sogwirkung des Romans schlicht nicht mehr entziehen. Doch selbst wenn man 95 % des Buches hervorragend fand, birgt Josh Malermans Werk noch einen gewaltigen Stolperstein: das Ende. Gerade wenn man sich verzweifelt auf der Suche nach einer Erklärung für das Ganze durch die Seiten suchtet, hat der Abschluss der Geschichte extremes Enttäuschungspotenzial. Der Autor lässt nämlich sehr viel Spielraum für eigene Interpretationen und liefert bei weitem nicht Antworten auf alle pressierenden Fragen. Der erwartete und vermutlich auch erhoffte Knalleffekt bleibt aus, man muss sich aber vielleicht auch die Frage stellen, ob ein solch freier Schluss in diesem Fall womöglich nicht sogar besser ist als eine Auflösung, die nach allen Gedankenspielen und angestellten Erklärungsversuchen im Kopf des Lesers die hohe Erwartungshaltung letztlich nicht zufriedenstellen kann. Ich kann mit dem Ende in dieser Form sehr gut leben und lege „Bird Box“ jedem ans Herz, der gerne psychologischen Horror in Reinkultur erleben wird – nach langer Zeit endlich mal wieder ein Buch, das mich wirklich gruseln konnte.

Bird Box
  • Autor:
  • Deutscher Titel: Bird Box – Schließe deine Augen (16. März 2015)
  • Umfang: 304 Seiten
  • Verlag: Harper Voyager
  • Erscheinungsdatum: 27. März 2014
  • Preis Geb. Ausgabe 14,74 €/eBook 6,66 €
Cover:
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Gesamt:
9/10
Fazit:
Trotz simplem Setting, minimalistischem Plot und distanzierter Erzählweise erzeugt Josh Malermans „Bird Box“ gekonnt eine unheimlich intensive Atmosphäre und sorgt mit subtilem Horror für verstörenden und atemberaubenden Nervenkitzel.

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2 Antworten zu diesem Beitrag

  • Horror lese ich ja eher selten, aber das hier muss ich mir wohl vormerken. Besonders der Minimalismus reizt mich. Ich mag es zwischendurch gerne, wenn Autoren reduzieren – und deine 9 von 10 Punkte sagen im Grunde eh schon alles.
    Bin gespannt! Danke für die Rezension!

    • Ich würde sagen das ist auch für Leser geeignet die sonst eher nichts mit Horror am Hut haben, da es hier fast kaum Gewaltszenen oder ähnliches gibt. Das meiste ist halt Kopfkino, aber wenn man sich darauf einlassen kann ist das Buch schon recht unheimlich 😉