Der Arzt Fridolin und seine junge Frau Albertine führen eine scheinbar harmonische Ehe, doch die Fassade der glücklichen kleinen Familie bekommt erste Risse, als das Paar nach einem Maskenball ein intensives Gespräch über bisher geheim gehaltene Versuchungen führt. Angeregt von einem Flirt am Vorabend beichtet Albertine ihrem Mann, dass sie während eines Sommerurlaubs vor ein paar Jahren die kurze Bekanntschaft eines Unbekannten gemacht hat, zu dem sie sich körperlich sehr stark hingezogen gefühlt habe. Daraufhin eröffnet auch Fridolin seiner Frau, dass er zur gleichen Zeit ein ähnliches Erlebnis gehabt und auch er in diesem Urlaub ein Mädchen gesehen habe, dass eine hohe Anziehungskraft auf ihn ausgeübt habe. Obwohl keiner der beiden damals der Versuchung nachgegeben hat, wird Fridolin durch das Geständnis seiner Frau aus der Bahn geworfen und streift gedankenverloren durch die Straßen Wiens, wo seine eheliche Treue in dieser Nacht auf eine große Probe gestellt wird…
Die Romanvorlage zu Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“
Der Inhalt von Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ aus dem Jahr 1925 klingt vertraut, ohne je in Kontakt mit dieser Erzählung gekommen zu sein? Kein Wunder, liefert die Novelle schließlich die Vorlage zu Stanley Kubricks erfolgreichem Film „Eyes Wide Shut“ mit Tom Cruise und Nicole Kidman. Somit waren mir die Grundzüge der Geschichte bereits vor der Lektüre einigermaßen vertraut, dennoch war im beim Hören des Hörbuches immer wieder überrascht, wie nah die filmische Umsetzung an der literarischen Vorlage war – denn bis auf eine Reihe von Modernisierungen und die Verlagerung der Geschichte von Wien nach New York hat Kubrick viele Passagen der Novelle fast Szene für Szene übernommen.
Menschliche Abgründe im nächtlichen Wien
Das hat mir dann beim Hören auch sehr geholfen, da sich durch die Vorkenntnisse die Handlung viel leichter visualisieren ließen und ich somit nicht – wie bei so manchem von mir gehörten Klassiker in letzter Zeit – Probleme beim Erkennen des roten Fadens der Geschichte gehabt habe. Denn wirklich viel passiert auch in Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ eigentlich auch nicht. Ausgangspunkt der Erzählung ist ein offenes Gespräch zwischen den Ehepartnern Fridolin und Albertine, wobei beide ihrem Gegenüber eröffnen, dass sie in der jüngeren Vergangenheit schon einmal ernste Gedanken an eine Affäre mit einem anderen Menschen verschwendet haben. Während Albertine die eher harmlose Beichte ihres Mannes kaum merklich beunruhigt hinnimmt, macht es Fridolin hingegen schon zu schaffen, dass seine Frau in ihrer Ehe offenbar nicht so glücklich ist wie gedacht. Dies führt dazu, dass er sich in der folgenden Nacht ein wenig hilflos und verwirrt durch die Straßen Wiens treiben lässt und auf seltsame Weise mit erotischen Versuchungen und den eigenen psychologischen Abgründen konfrontiert wird.
Surreale und mysteriöse Atmosphäre
Verbunden wird die Geschichte über menschliche Triebe und teilweise recht offen zur Schau gestellte Begierde mit einer Art Kriminalfall, in den Fridolin durch einen Krankenbesuch und seine Neugier in dieser Nacht hineingezogen wird. Dieser recht mysteriöse Handlungsstrang peppt die Novelle für meinen Geschmack angenehm auf und sorgt sogar für ein sehr solides Spannungsniveau, das ich von diesem Klassiker nicht unbedingt erwartet hätte. Diese oft sehr surreal wirkenden nächtlichen Entwicklungen haben mich dabei auch mehr angesprochen als die innere Zerrissenheit der Hauptfigur und die kriselnde Beziehung zu seiner Frau, wenngleich auch dieser Teil der Geschichte einige interessante Aspekte beisteuert.
Überraschend interessant und toll gelesen
Großer Pluspunkt der von mir gehörten Fassung aus der Audible-Klassikerreihe ist aber die Lesung von David Nathan, der wenig überraschend die Geschichte gewohnt großartig vorträgt, ohne dabei jedoch auch wirklich gefordert zu werden. Darüber hinaus passt seine Stimme aber hervorragend zum surrealen und mysteriösen Charakter der Geschichte und wertet das Hörbuch dadurch noch einmal merklich auf. Insgesamt hat Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ somit einen überraschend positiven Gesamteindruck bei mir hinterlassen. Ich fand die Geschichte stellenweise wirklich interessant und habe mich hier im Vergleich zu vielen anderen Klassikern auch zu keinem Zeitpunkt gelangweilt gefühlt – allerdings hat das Hörbuch mit rund dreieinhalb Stunden aber auch eine recht überschaubare Länge, sodass die Handlung dadurch recht straff erzählt wird. Alles in allem also wirklich ein hörenswerter Klassiker.
Charaktere: | |
Story: | |
Atmosphäre: | |
Sprecher: |
7/10