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Ein genialer Schriftsteller verschwendet sein Talent mit ausschweifenden Alkohol- und Sexorgien – bis ihm plötzlich das Finanzamt im Nacken sitzt.

Kennedy Marr war einmal der aufstrebende Schriftsteller in der Literaturszene: Als jüngster Autor überhaupt hat er es auf die Shortlist des renommierten Booker Prizes geschafft, seine Werke wurden millionenfach in aller Welt verkauft und haben ihm ein beachtliches Vermögen eingebracht. Allerdings ist Kennedy der Ruhm ein wenig zu Kopf gestiegen und sein ausschweifendes Luxusleben in Hollywood mit viel Sex, viel Alkohol und wenig Schreibarbeit hat dafür gesorgt, dass Marr mit nun 44 Jahren von den einst verdienten Millionen nicht mehr viel übrig geblieben ist. Im Gegenteil: Kennedy fällt aus allen Wolken, als ihn sein Management auf Steuerschulden von über einer Million Dollar hinweist. Der einst gefeierte Autor benötigt dringend Geld und so kommt es äußerst gelegen, dass Marr für einen hoch dotierten Literaturpreis vorgeschlagen wird. Dafür muss Kennedy aber einige unliebsame Opfer bringen…

Das wilde Leben eines exzentrischen Schriftsteller

Wer sich auf die Bücher des schottischen Autors John Niven einlässt, muss wissen, was ihn dort erwartet: Es wird unglaublich vulgär, sehr freizügig, erfrischend respektlos und wunderbar zynisch. Auch in „Straight White Male“ bleibt Niven seinem Stil treu und präsentiert seinen Lesern erneut einen Antihelden wie aus dem Lehrbuch: Kennedy Marr ist Mitte vierzig und ein begnadeter Schriftsteller, doch letzteres ist auch fast schon das einzig Positive, was man über ihn berichten kann. Denn sein Talent lässt der Literaturstar seit Jahren schleifen und verbringt seine Zeit statt mit kreativer Schreibarbeit lieber auf ausschweifenden Hollywoodpartys und in den Betten schöner (und vor allem deutlich jüngerer) Frauen. Nicht zuletzt deshalb ist auch seine Ehe in die Brüche gegangen und seine Ex-Frau lebt nun mit der gemeinsamen 16-jährigen Tochter in England. Bei den ersten Kapiteln des Buches musste ich mir fast schon ein wenig die Augen reiben, denn die Ähnlichkeit Kennedy Mars‘ zum von David Duchovny in der US-Serie „Californication“ verkörperten Hank Moody sind wirklich frappierend: Gleiches Alter, gleicher Schauplatz, gleiche Laster, sehr ähnliche Familiensituation und eine gemeinsame Null-Bock-Einstellung.

„Californication“ in Buchform

Nun könnte man sich über den Ideenklau beschweren, man kann das Szenario aber auch einfach als gegeben hinnehmen und im Folgenden mit „Straight White Male“ sehr viel Spaß haben. Es ist nämlich hochgradig unterhaltsam, wie Kennedy Marr sich einen Dreck um andere kümmert und ohne jeden Respekt und Rücksicht knallhart seinen Weg geht, der vorrangig so aussieht: Mit minimalem Aufwand maximales Vergnügen haben. Richtig amüsant wird es aber, als Kennedy gezwungen wird, das faule Leben an den Nagel zu hängen und seine Steuerschulden abzuarbeiten, denn nun muss sich der triebgesteuerte Autor nicht nur mit den strengen Richtlinien einer englischen Elite-Universität und aufmüpfigen Filmsternchen herumschlagen, sondern sieht sich auch mit seiner Familie konfrontiert, vor der er sich nur allzu gerne auch weiterhin gedrückt hätte.

Über rund zwei Drittel des Buches ist „Straight White Male“ eine respektlose Satire auf die amerikanische Literatur- und Filmbranche und rechnet gnadenlos mit Buchkritikern, Agenten, Regisseuren und Schauspielern ab – wirklich jeder aus dem Umfeld des Autors bekommt hier sein Fett weg, und das meist auf sehr drastische und vulgäre Art und Weise. John Nivens Roman ist sprachlich gewohnt derb und passt sich damit perfekt seiner Hauptfigur an – das war aber auch nicht anders zu erwarten, wenn man seine bisherigen Werke kennt. Stark ist dann aber, wie Niven gerade im Schlussdrittel auch ernste Töne anschlägt und Kennedy Marr auf ebenso ungeschönte Weise mit seinem eigenen Verhalten und Versagen konfrontiert. Da bleibt einem beim Lesen schon das ein oder andere mal das Lachen im Halse stecken, wenn es eben nicht mehr um beispiellose Sex-Eskapaden oder tobende Wutanfälle, sondern um Verlustängste oder eine äußerst bittere Selbstreflexion geht. Hier liefert John Niven dann tatsächlich noch überraschenden Tiefgang und hebt seine böse Satire letztlich doch noch auf anspruchsvolleres Niveau, was dem Buch wirklich sehr gut zu Gesicht steht. Etwas bedauerlich ist nur, dass Niven vor einem völlig konsequenten Ende im letzten Moment zurückschreckt und seinen sehr guten Schluss noch einmal unnötig absoftet. Das ändert aber nichts daran, dass mich „Straight White Male“ wie bisher jeder Roman des Autors erneut begeistern konnte – vor allem in der von Gerd Köster gelesenen Hörbuchversion, der sich voller Inbrunst durch die knapp 12,5 Stunden flucht und eine perfekte Kennedy-Marr-Interpretation abliefert.

Fazit:
Launige und bitterböse Satire in bester „Californication“-Manier: Rotzfrech, respektlos, vulgär, tragisch und hochgradig unterhaltsam (9/10).

Straight White Male
Autor: John Niven; Sprecher: Gerd Köster; Originaltitel: Straight White Male; Spieldauer: 12 Std. 28 Minuten (ungekürzt); Anbieter: Random House Audio, Deutschland; Veröffentlicht: 27. Januar 2014; Preis: 13,95 €.

Link zum Hörbuch

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11 Antworten zu diesem Beitrag

  • Von Cookie am 16. Feb 2014 um 13:16

    Hallo Sebastian! Deinen Blog lese ich schon eine Weile still im Hintergrund mit. Jetzt musste ich aber mal aus meiner „Deckung“ rauskommen. 🙂

    Beim Stöbern auf Deinem Blog hab ich festgestellt, dass es einige Bücher gibt, die ich auch gelesen und ähnlich gut oder schlecht fand. Zurzeit höre ich „straight white male“ und finde es bis jetzt auch ziemlich gut. Da ich „Californication“ nicht gesehen habe, kann ich dazu kein Urteil abgeben. Genereller Kritikpunkt scheint wohl bei Buch und Serie die Sprache zu sein. Normalerweise bin ich auch ein Gegner von ständigen Wiederholungen von derben ausdrücken, insbesondere des F-Wortes. Aber das Buch würde m.E. nicht funktionieren, wenn Kennedy zurückhaltender wäre. Bis jetzt würde ich „swm“ auch neun, wenn nicht sogar zehn Punkte geben. Ich komme wieder, wenn ich es zu Ende gehört habe. 😉

    • Ich hab ja vorher schon den ein oder anderen Niven gelesen, von daher wusste ich worauf ich mich da einlasse. Außerdem wäre ich auch enttäuscht gewesen wenn „Straight White Male“ nicht so vulgär ausgefallen wäre 😀

      Bin mal gespannt was du zum Ende des Buches sagst 😉

      • Von Cookie am 17. Feb 2014 um 21:34

        Das Ende wurde bei einigen Rezensionen kritisiert. Ich sehe es als offenes Ende, die jedem Leser seine eigene Interpretation ermöglicht. Die Beschreibung der letzten Szene ist für mich eher ein Indikator, dass Kennedy nicht aus seiner Haut raus kann.

        Das Buch war wiklich erfrischend anders. Von mir gibt’s sogar 10 Sterne. 🙂

  • Ich hab das Buch gerade ausgehört und muss sagen, dass es mir zu krass war. Eigentlich habe ich ein recht dickes Fell was „transgressive fiction“ angeht, aber mit dem „Straight White Male“ wurde ich einfach nicht warm.
    Das Hörbuch war auch sehr lang und ich war am Ende nur noch gelangweilt. Trotzdem freut es mich, dass Du der Geschichte mehr abgewinnen konntest. Ich muss wohl bis zum nächsten Niven warten 😉

    LG, Katarina 🙂

    • Ich hab ja auch gehofft dass es so krass ausfällt, bei Niven erwarte ich das einfach 😀

      Hast du die anderen Bücher des Autors denn alle schon gelesen? Ich fand z.B. „Coma“ und „Gott bewahre“ auch noch sehr unterhaltsam

      • Ich hab agesehen von „Straight White Male“ auch noch „Gott bewahre“ gelesen, das mir sehr gut gefallen hat und „Music from Big Pink“, das im Vergleich zu seinen anderen Büchern wohl etwas aus der Reihe tanzt. Geplant ist auf jeden Fall noch „Kill your friends“. Hast Du das schon gelesen?

        LG, Katarina 🙂

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