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Auch Jahrzehnte nach den dramatischen Erlebnissen im „Overlook“-Hotel kämpft Dan Torrance mit der Bewältigung dieses Traumas. Gleichzeitig macht eine skrupellose Sekte in den USA Jagd auf Kinder mit dem „Shining“…

Mehr als 30 Jahre sind vergangen, seit Dan Torrance den vom „Overlook“-Hotel in den Bergen Colorados ausgelösten Wahnsinn seines Vaters Jack nur knapp überlebt hat. Dennoch leidet er immer noch unter den Folgen dieser schrecklichen Ereignisse und hat zudem auch noch von seinem Vater den Hang zum Alkohol geerbt, mit dem er die quälenden Erinnerungen auszulöschen versucht. Nach einem einschneidenden Erlebnis beschließt Dan jedoch, mit seinem Leben aufzuräumen und zieht ins beschauliche Frazier in New Hampshire, wo er in einer neuen Umgebung einen Neustart wagen und mit seiner schlimmen Vergangenheit endlich abschließen will.

Die Fortsetzung zu Stephen Kings Horror-Klassiker „Shining“

Dort hält sich Dan tagsüber als Hilfsarbeiter an einer kleinen Touristenattraktion über Wasser und besucht abends die Treffen der Anonymen Alkoholiker, um einem ähnlichen Schicksal wie dem seines Vaters doch noch entgegenzuwirken. Zudem arbeitet er gelegentlich in einem Hospiz, wo er Sterbenden in ihren letzten Tagen begleitet und ihnen Trost spendet. Dabei kommt ihm auch seine Gabe, das „Shining“, zugute, denn dadurch ist Dan in der Lage, seine Patienten sanft ins Reich der Toten zu übergeben und ihnen die Angst vor dem Ungewissen zu nehmen, was ihm den Spitznamen „Doctor Sleep“ eingebracht hat. Sein Leben nimmt langsam aber sicher geregelte Bahnen an – bis er eines Tages erneut mit den Dämonen seiner Vergangenheit konfrontiert wird…

Was wurde eigentlich aus dem kleinen Danny Torrance?

Nachdem ich unmittelbar im Vorfeld noch schnell Stephen Kings Horror-Klassiker „Shining“ gehört hatte, habe ich seinem neuen Werk „Doctor Sleep“ sehr entgegengefiebert, welches die Geschichte mehr als drei Jahrzehnte nach den Vorfällen im Overlook-Hotel fortführt und zeigt, was aus dem damals fünfjährigen Dan Torrance geworden ist. Und das ist für alle diejenigen, die noch den liebenswerten und aufgeweckten Danny in Erinnerungen, ein echter Schock. Wer gehofft hat, dass der Junge den Schrecken des Overlook hinter sich lassen und unbeschadet überstehen könnte, wird leider sehr schnell eines besseren belehrt. Der erwachsene Dan Torrance ist nämlich zu Beginn der Geschichte kaum besser als sein Vater, denn genau wie dieser ertränkt auch der Sohnemann seine Probleme in großen Mengen Alkohol. Doch damit nicht genug: Dan zieht Tag für Tag angetrunken um die Häuser, reißt Frauen mit äußerst zweifelhaftem Ruf auf und lässt sich mit ihnen auf vom Drogenrausch angeheizte Sex-Abenteuer ein – immer auf der Suche nach schneller Befriedigung. Dieser charakterliche Verfall ist nicht nur erschreckend, sondern macht aus dem vormals so goldigen Jungen einen eher abstoßenden Trinker und Junkie, dem man – bei allem Verständnis für seine traumatischen Kindheitserlebnisse – nur kaum bis gar keine Sympathien entgegenbringen kann. Glücklicherweise sorgt dann ein schockierender Wachmacher für einen Wendepunkt in Dans Leben und er bemüht sich in einer ungewohnten Umgebung um einen Neuanfang. Hier zeigt sich dann auch endlich, dass bei Dan Hopfen und Malz noch nicht verloren ist und man ist als Leser schließlich doch gewillt, diesen Mann auf seinem schweren Weg zu begleiten.

Eine teuflische Sekte jagt und tötet „Shining“-Kinder

Dans Neustart in der amerikanischen Provinz ist aber nicht der einzige Handlungsstrang, den Stephen King seinen Lesern in „Doctor Sleep“ präsentiert. Zeitgleich dazu treibt nämlich eine teuflische Sekte in den Vereinigten Staaten ihr Unwesen: Der „Wahre Knoten“ ist eine in Wohnwagen durchs Land ziehende Gemeinschaft, die für den Außenstehenden wie eine harmlose Rentnertruppe wirkt. Hinter der unauffälligen Fassade verbirgt sich aber eine brutale Gruppierung, die es auf unschuldige Kinder abgesehen hat und diese kaltblütig ermordet. An dieser Stelle wird es nun etwas abgehoben und „Doctor Sleep“ beginnt, sich von dem trotz des Telepathie-Themas weitestgehend bodenständigen Vorgänger abzugrenzen. Der „Wahre Knoten“ jagt nämlich keine gewöhnlichen Kinder, sondern nur solche mit ausgeprägtem „Shining“, also jener hellseherischen Begabung, über die auch Dan Torrance verfügt. Bekommen die Mitglieder eines dieser Kinder in ihre Gewalt, so foltern sie ihre Opfer, um damit möglichst viel des sogenannten „Steam“ freizusetzen – der Substanz, die für das „Shining“ der Kinder verantwortlich ist. Anschließend berauscht sich die Sekte in einem grausigen Ritual an dem gewonnenen Steam und entledigt sich der wertlosen leeren Hüllen. Diese Orgien sorgen nicht nur für bewusstseinserweiternde Erfahrungen, sondern verlängern auch die Lebensdauer der Mitglieder des „Wahren Knotens“ scheinbar beliebig.

Dreckiger, actionreicher und weniger subtil als der Vorgänger

Aufgrund dieses doch etwas „speziellen“ Szenarios habe ich eine Weile gebraucht, bis ich mich völlig auf die Geschichte einlassen konnte, denn eine Horde untoter Steam-Vampire ist als Gegenspieler eben doch eine andere Kategorie als einem dem Wahnsinn verfallender Familienvater. Auch wenn „Shining“ aufgrund der telepathischen Elemente und des eigenständigen Charakters des „Overlook“-Hotels sicherlich nicht als realistische Story bezeichnet werden kann, so äußerte sich der Horror im „Doctor Sleep“-Vorgänger doch zumeist auf subtile Art und Weise, indem man nämlich in die angeknackste Psyche der Charaktere eintauchen konnte und mit ihren Wahnvorstellungen konfrontiert wurde. „Doctor Sleep“ ist hier brachialer und beinhaltet deutlich mehr Action-Anteile, die dann auch in gewohnter King-Manier stellenweise recht brutal und blutig daherkommen. Das Sequel bietet hier in meinen Augen einen anderen, dreckigeren und vulgäreren Horror als der Klassiker von 1977 – was aber nicht automatisch schlechter ist. Denn hat man sich einmal mit den unsterblichen, herumhurenden und mordenden Rentnern abgefunden, so bietet auch „Doctor Sleep“ wieder eine packende Story voller menschlicher Abgründe und fast durchgehender Spannung. Zudem wird ein viel größeres Augenmerk auf das „Shining“ selbst gelegt, was phasenweise sogar in an Christopher Nolans „Inception“ erinnernde Szenen resultiert, in denen sich die Charaktere auf unterschiedlichen geistigen Ebenen dramatische Duelle liefern.

Guter Plot, faszinierende Charaktere

Wer die fünfjährige Version des Danny Torrance vermisst, der findet in der 12-jährigen Abra sicherlich schnell eine neue Identifikationsfigur, denn diese ist neben dem erwachsenen Dan die zweite Hauptfigur in „Doctor Sleep“. Wie Dan verfügt auch das Mädchen über das „Shining“ – allerdings ist diese Gabe bei ihr um ein Vielfaches so stark ausgeprägt, was sie natürlich fast zwangsläufig ins Visier des „Wahren Knotens“ befördert. Mehr soll zur Handlung selbst aber auch nicht verraten werden, die von Stephen King jedoch erneut gut ausgearbeitet wurde und im Vergleich zu so manch anderem seiner Romane auch fast durchgehend straff erzählt wird. Auch die Charaktere wissen ein weiteres Mal zu überzeugen und der Autor vermittelt glaubhaft ihre jeweiligen Motivationen und lässt deren Handlungen dadurch stets nachvollziehbar erscheinen.

Würdige Fortsetzung – auch für „Shining“-Neulinge

Es lohnt sich im Übrigen wirklich, kurz vor dem Beginn von „Doctor Sleep“ noch einmal seine „Shining“-Kenntnisse aufzufrischen, denn Kings neuer Roman lässt sich zwar auch weitestgehend problemlos ohne Lektüre des Vorgängers genießen – für Kenner des Klassikers bietet das Sequel aber einige sehr gelungene Aha-Momente. So tauchen liebgewonnene Nebenfiguren kurzzeitig auf oder einige Szenen aus „Shining“ werden erneut aufgegriffen, die man wohl kaum noch präsent hat, wenn man das Buch nicht kurz zuvor noch gelesen hat. Ein letztes Wort noch zur Hörbuchversion: Anders als „Shining“ wird „Doctor Sleep“ nicht von Dietmar Wunder, sondern wie gewohnt von David Nathan gelesen – der wie nicht anders zu erwarten war erneut eine herauslagende Leistung abliefert. Aufgrund der langen Zeitspanne zwischen den Geschichten der beiden Bücher geht dieser Sprecherwechsel auch völlig problemlos vonstatten und sorgt trotz gleicher Hauptfigur beider Werke zu keinem Zeitpunkt für Irritationen. So ist auch „Doctor Sleep“ letzten Endes ein sehr empfehlenswerter Horror-Roman, der zwar für meinen Geschmack nicht ganz an den Vorgänger herankommt – mir hat der subtilere Horror aus „Shining“ einfach etwas mehr zugesagt –, aber dennoch eine Geschichte bietet, die es wert war, erzählt zu werden.

Fazit:
Gelungene „Shining“-Fortsetzung, die zwar dreckiger und actionreicher als der Vorgänger daherkommt, aber dank erneut überzeugender Charaktere und einer packenden Story wieder spannende Horror-Unterhaltung bietet (8/10).

Doctor Sleep
Autor: Stephen King; Sprecher: David Nathan; Originaltitel: Doctor Sleep; Spieldauer: 20 Std. 18 Minuten (ungekürzt); Anbieter: Random House Audio, Deutschland; Veröffentlicht: 28. Oktober 2013; Preis: 16,95 € (9,95 € im Flexi-Abo).

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