Immobilienmaklern sollte man bekanntlich grundsätzlich mit ein wenig Vorsicht und gesunder Skepsis begegnen, um bei der Wohnungssuche oder dem Hauskauf nicht übers Ohr gehauen zu werden, und auch die Hauptfigur in Phil Hogans Roman „Die seltsame Berufung des Mr. Heming“ trägt sicherlich nicht dazu bei, das Ansehen dieser Berufsgruppe ein wenig aufzupolieren. Dabei kann man besagtem Mr. Heming aus rein professioneller Sicht eigentlich gar nicht so viel vorwerfen, denn der Makler kümmert sich nicht nur sehr zuvorkommend um seine Kundschaft und erfüllt die Wünsche seiner Klienten in der Regel äußerst zufriedenstellend, sondern wird auch von seinen Angestellten geschätzt und als freundlicher und fairer Chef empfunden.
Ein Immobilienmakler mit sehr speziellem Kundenservice
Würden die Kunden von Heming-Immobilien jedoch wissen, was der vermeintliche Bilderbuch-Makler nach Vertragsabschluss anstellt – das neue Wohnglück würde wohl schnell zu einem absoluten Albtraum werden. Mr. Heming behält nämlich eine Kopie der Wohnungsschlüssel seiner Klienten und schaut in den Häusern und Apartments immer mal wieder nach dem Rechten – allerdings ohne dass die Bewohner davon wissen. Um es also einmal ganz unverblümt auf den Punkt zu bringen: Phil Hogans Hauptfigur ist ein waschechter Stalker, der das Leben seiner Mitmenschen bis ins kleinste Detail ausspioniert und dabei keinerlei Skrupel an den Tag legt. Ob es das Stöbern in persönlichen Unterlagen ist oder er es sich gleich unter dem Bett der Bewohner gemütlich macht, während diese sich ohne Kenntnis ihres ungewünschten Gastes im gleichen Raum befinden – Mr. Heming kennt in seiner heimlichen Obsession keine Grenzen.
Ein krankhafter Stalker als Hauptfigur?
Vielen dürfte die Wahl eines solchen Protagonisten ein wenig problematisch erscheinen und vermutlich auch dadurch nicht vereinfacht werden, dass die Geschichte unmittelbar aus der Sicht von Mr. Heming geschildert wird und man somit tatsächlich im Kopf eines Stalkers steckt. Nun gibt es sicherlich auch unzählige Thriller, in denen z.B. notorische Serienkiller zur charismatischen Hauptfigur glorifiziert werden (siehe Jeff Lindsay „Dexter“-Reihe) und deren Taten häufig damit verharmlost werden, dass die Mörder ja nur den Abschaum der Gesellschaft über die Klinge springen lassen, im Vergleich dazu wirkt „Die seltsame Berufung des Mr. Heming“ stellenweise aber spürbar unangenehmer, weil Mr. Heming keinen Unterschied zwischen Gut und Böse macht und geradezu zwanghaft jeden ausspioniert, der ihm über den Weg läuft und einen nachhaltigen Eindruck hinterlässt.
Kontroverse Ausgangsidee sorgt für innere Konflikte
Wenig überraschend ist auch Phil Hogan sichtlich bemüht, seinen Protagonisten sympathisch erscheinen zu lassen, indem sich dieser selbst als ein Art Hüter der Gemeinde darstellt und durch seine Eingriffe in das Privatleben der Menschen lediglich das Gleichgewicht in der Gesellschaft wahre. Und es ist auch durchaus amüsant, wenn Mr. Heming einem unverschämten Hundebesitzer das nicht beseitigte Häufchen seines vierbeinigen Gefährten heimlich auf den eigenen Wohnzimmerteppich drapiert oder in einem der regelmäßigen Rückblicke in die eigenen Vergangenheit dem Schul-Schläger die Freundin ausspannt, indem er sich unrechtmäßig Zugang zu persönlichen Informationen verschafft. Trotzdem sorgen die Stalking-Ausflüge der Hauptfigur doch auch immer wieder für großes Unwohlsein beim Lesen, weil die „seltsame Berufung“ nun einmal nichts anderes als eine krankhafte Obsession ist, die auch dadurch nicht besser wird, dass Mr. Heming kein sexuelles Motiv für seine heimlichen Ausflüge hat. So überlegt man zwischendurch immer wieder, ob man mit dem Makler nun mitfiebern darf oder sich lieber angewidert abwenden sollte und genau dieser innere Konflikt ist das Interessante an Phil Hogans Roman.
Unterhaltsam und stellenweise amüsant, aber ohne bleibenden Eindruck
Allerdings hat „Die seltsame Berufung des Mr. Heming“ auch eine große Schwäche: die Story. Nahezu die komplette erste Buchhälfte geht dafür drauf, dass der Protagonist über seine BerufungObsession berichtet und erzählt, wie er es überhaupt vom seltsamen Schul-Außenseiter zum angesehenen Immobilienmakler gebracht hat, ohne dass es dabei überhaupt einen roten Faden gibt. Erst ab der Mitte des Romans sorgt der Autor für ein wenig Dramatik, was aber wenig am sehr gemütlichen Tempo der Geschichte ändert. Gerade in Bezug auf die heimlichen Unternehmungen der Hauptfigur wäre hier in vielen Situationen einfach deutlich mehr Spannung möglich gewesen. So ist „Die seltsame Berufung des Mr. Heming“ letzten Endes irgendwie weder Fisch noch Fleisch: Für einen Kriminalroman oder gar Thriller bietet das Buch schlicht viel zu wenig Nervenkitzel, für ein psychologisches Drama fehlt eindeutig Tiefgang und als makabre Komödie ist Hogans Werk weder lustig noch böse genug. So bleibt ein ganz netter und unterhaltsamer Roman mit ungewöhnlicher Hauptfigur, einigen amüsanten Momenten und einer interessant-kontroversen Idee – am Ende ist es aber so wie bei Mr. Hemings heimlichen Stalking-Ausflügen: er kommt und geht, ohne dabei jedoch einen spürbaren Eindruck zu hinterlassen.
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6/10