Hauptkommissar Harry Hole ist am Tiefpunkt seiner Karriere und seines Lebens angelangt: Der ungelöst Mord an seiner Kollegin Ellen macht ihm immer noch schwer zu schaffen und obwohl Harry davon überzeugt ist, dass sein Kollege Tom Waaler für ihren Tod verantwortlich ist, hat er auch in einem wochenlangen und unermüdlichen Alleingang keine Beweise für dessen Täterschaft gefunden. Harry flüchtet sich wieder einmal in einen ungesunden Umgang mit Alkohol, sodass sich auch seine Freundin Rakel schließlich von ihm abwendet. Zu allem Überfluss bekommt er dann auch noch von seinem Chef die Kündigung überreicht, da seine Eskapaden von der Osloer Polizei trotz Harrys unbestreitbarer Erfolge nicht mehr toleriert werden können. Als dann aber ein Serienmörder in der norwegischen Hauptstadt Jagd auf Frauen macht, wird Harry Hole zum letzten Mal in die Ermittlungen mit einbezogen – und muss dabei ausgerechnet mit seinem Erzfeind Tom Waaler zusammenarbeiten…
Harry Holes ewiger Kampf mit dem Alkohol
„Das fünfte Zeichen“, der fünfte Band von Jo Nesbøs Harry-Hole-Reihe um den Osloer Hauptkommissar beginnt für Fans der Kriminalromane mit einem gewohnten und fast schon ein wenig gefürchteten Bild: Harry hat es wieder einmal nicht geschafft, seine Alkoholsucht endgültig zu besiegen und aufgrund der frustrierenden und aufzehrenden Ermittlungen im Mordfall seiner Kollegin einen schweren Rückfall erlitten. Wochenlang weiß niemand auf dem Revier, wo sich der einst so gefeierte Polizist aufhält und Harry säuft sich währenddessen den ganzen Tag über von einer Spelunke in die nächste. Dass er damit auch seine Beziehung zu Rakel, die mit ihrem Sohn Oleg in früheren Zeiten wie ein Rettungsanker für Harry wirkte, gegen die Wand fahren lässt, ist für ihn zwar schmerzhaft, wird aber billigend in Kauf genommen. Denn noch schlimmer ist für Hole, dass er Tom Waaler trotz aller Indizien nicht überführen und seiner toten Kollegin Gerechtigkeit wiederfahren lassen kann – denn niemand glaubt ihm, dass der aufstrebende Ermittler mit der blitzsauberen Dienstakte ein Mörder und skrupelloser Waffenschmuggler ist.
Ein brutaler Serienkiller geht in Norwegens Hauptstadt um
Diese Nebenhandlung mit dem Mord an Ellen und dem Duell zwischen Hole und Waaler geht mit „Das fünfte Zeichen“ nun in die dritte Runde, spitzt sich hier aber endlich zu, als beide unter kuriosen Umständen zur Zusammenarbeit gezwungen werden. Es ist also wirklich hilfreich, wenn man die beiden Vorgänger „Rotkehlchen“ und „Die Fährte“ gelesen hat, auch wenn dieser Fall nicht die Hauptgeschichte vom fünften Hole-Band darstellt. Diese Rolle nimmt nämlich eine grausame Mordserie in Oslo ein, bei der mehrere Frauen von einem unberechenbaren Täter ermordet und verstümmelt werden – zum ersten Mal seit Jahrzehnten treibt in Norwegen wieder ein Serienkiller sein Unwesen. Und wie es sich für einen solch aufsehenerregenden Fall gehört, legt Jo Nesbø hier eine sehr spannende und raffiniert konstruierte Geschichte hin, die das Tempo permanent hoch hält und die Leser geschickt auf falsche Fährten lockt. Der Täter scheint jeden Schritt der Ermittler vorherzuahnen und fordert Harry Hole und seinen Kollegen wirklich alles ab.
Hochdramatisches Duell zwischen Harry Hole und seinem Erzfeind
Richtig dramatisch wird die Geschichte aber durch das Duell zwischen Harry Hole und Tom Waaler, die sich während des gesamten Buches wie zwei Raubtiere belauern und nur darauf warten, dass einer von beiden einen Fehler macht, jedoch immer hinter der Fassade einer guten Zusammenarbeit zwischen Oslos Top-Ermittlern. Harry ist dabei wirklich jedes Mittel Recht, um den Mord an seiner Kollegin aufzuklären und stellt dabei auch sein eigenes Schicksal völlig hinten an – man möchte als Leser aufgrund des drohenden Niedergangs des Protagonisten phasenweise laut aufschreien und Harry zur Vernunft bringen, ist aber zur passiven Beobachterrolle verdammt. Über zwei Drittel des Buches ergibt das schon einen sehr guten Kriminalroman, was Jo Nesbø dann aber im Schlussakt aus dem Hut zaubert, macht „Das fünfte Zeichen“ schließlich zu einem Krimi der Extraklasse – die Ereignisse überschlagen sich förmlich, die Nerven sind bei allen zum Zerreißen gespannt und wüsste man nicht schon von der Existenz weiterer Harry-Hole-Romane, würde man sich wohl ernsthaft Sorgen um ein Überleben der Hauptfigur machen.
Der bisher mit Abstand beste Band der Reihe
Obwohl Nesbø auch bei seinem fünften Hole-Krimi wieder auf bewährte Zutaten setzt und seinen Protagonisten wieder mal in in die Selbstzerstörung schickt, ist „Das fünfte Zeichen“ für mich klar der bisher beste Band der Reihe. Ist man anfangs aufgrund des erneuten Alkoholabsturzes Harry Holes noch ein wenig genervt und wünscht sich einmal etwas weniger Drama um die Hauptfigur, so ist gerade dieser innere Kampf das, was die Handlung in der zweiten Hälfte so wahnsinnig mitreißend macht. Nach rund 300 Seiten überschleicht einen nämlich das Gefühl, die Geschichte wäre am Ende angelangt, dann legt Nesbø aber erst richtig los und sorgt dafür, dass man die restlichen 200 Seiten am liebsten in einem Rutsch zu Ende lesen möchte. Stark, wenn man nach vier Bänden einer Reihe immer noch einen draufsetzen und ein solches Krimi-Highlight hinlegen kann – alleine dafür hat sich das jahrelange Mitleiden mit Harry Hole und der ermüdende Kampf mit seiner Sucht schon gelohnt.
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9/10