Tags: Coming-of-age, Contemporary, Epilepsie, Finn Easton, Road Trip, Young Adult
Genre: Humor, Jugendroman
Finn Easton ist auf den ersten Blick ein ganz gewöhnlicher Teenager, doch der 16-Jährige sieht die Welt ein wenig anders als seine Altersgenossen. Seit einem schweren Unfall im Alter von sieben Jahren, bei dem seine Mutter auf tragische Weise ums Leben kam, leidet Finn an Epilepsie und wird immer wieder aus heiterem Himmel von schlimmen Anfällen heimgesucht, die nicht nur zu kompletten Blackouts, sondern in der Regel auch zu sehr unangenehmen Situationen führen – gerade wenn man mitten in der Pubertät ist und man wie Finn einen möglichst guten Eindruck auf das umwerfende neue Mädchen an seiner Schule machen möchte. Zudem kommt für ihn erschwerend hinzu, dass Finns Vater der Verfasser eines ungemein erfolgreichen Science-Fiction-Romans ist und die Hauptfigur des Buches einige nicht von der Hand zu weisende Parallelen zu ihm selbst aufweist – was wirklich ziemlich nervig sein kann, wenn absolut jeder die Geschichte kennt und das Gelesene automatisch auf Finn projeziert…
Die Welt aus der Sicht eines pubertierenden Epileptikers
Wer bereits einen oder mehrere der Contemporary-Romane von Andrew Smith wie „Winger“ oder „Grasshopper Jungle“ gelesen hat, wird sich vermutlich auch in seinem neuen Werk „100 Sideways Miles“ direkt heimisch fühlen. Die Hauptfigur, der 16-jährige Finn Easton, ist mehr oder weniger aus dem gleichen Holz geschnitzt wie seine „Vorgänger“ Ryan Dean West und Austin Szerba und sieht sich ebenfalls mit den Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens konfrontiert. Im Vergleich zu den beiden anderen kommt Finn etwas weniger testosterongesteuert daher, hat aber auch ein paar skurrile Macken vorzuweisen. Die auffälligste davon ist sicherlich die Tatsache, dass für Finn Entfernungen wichtiger sind Zeit und dieser so jede Zeitspanne dadurch ausdrückt, welche Strecke die Erde in der gleichen Dauer im Verhältnis zur Sonne zurücklegt, nämlich 20 Meilen pro Sekunde. Für die zweite bedeutende Eigenheit kann Finn nichts, denn sie ist die Folge eines tragischen (zugleich aber auch unfreiwillig komischen) Ereignisses aus seiner Kindheit: Finn bekommt unregelmäßige und unvorhersehbare epileptische Anfälle, die ihn – zum großen Glück der Leser – immer in den ungünstigsten Momenten treffen, was im Verlauf der Geschichte zu einigen sehr peinlichen und mitleiderregenden, aber auch höchst amüsanten Szenen führt.
Charmant erzählt nach dem bewährten Erfolgsschema
Diese Momente sind es auch, die „100 Sideways Miles“ auszeichnen und Andrew Smiths neuem Buch einen wunderbaren Charme verpassen. Der Autor greift hier zwar wieder einmal auf die gewohnten Zutaten zurück und präsentiert seine fast schon obligatorische Dreieckskonstellation aus etwas schrägem Teenager, seinem besten Freund (der hier ausnahmsweise mal nicht schwul ist…) und dem weiblichen Love-Interest, dem diesmal gefühlt etwas mehr Tiefe spendiert wird als bei Smiths vorherigen Büchern. Und wie schon bei „Grasshopper Jungle“ oder „Winger“ findet man auch hier wieder unzählige kleine Details und Highlights, die einem ein Lächeln auf die Lippen zaubern und in Erinnerung bleiben werden: Finns etwas seltsame Sicht auf die Welt, die Narben-Witze seines besten Freundes Cade Hernandez, dessen wahnsinnig komische Auseinandersetzungen mit dem sonderbaren Geschichtslehrer oder die erneut sehr passende Sprache der Charaktere mit all ihren „Ums“ und „Uhs“, welche die Dialoge einfach sehr authentisch wirken lassen.
Unterhaltsam, aber inhaltlich sehr überschaubar
Man kommt aber leider nicht daran vorbei sich gerade im späteren Verlauf eingestehen zu müssen, dass die Story in dem zudem diesmal mit knapp 280 Seiten recht dünnen Buch inhaltlich etwas mager ausfällt. Während die ersten zwei Teile überwiegend aus einer Aneinanderreihung mal peinlicher, mal eher trauriger und mal zum Schreien komischer Szenen bestehen, zeichnet sich erst im dritten und letzten Abschnitt ein gewisser Plot ab. Leider ist jedoch genau dieses Schlussdrittel der Schwachpunkt des Buches und wer hier nach dem Klappentext einen unterhaltsamen Roadtrip als Grundgerüst der Handlung erwartet, wird mit Sicherheit eine bittere Enttäuschung erleben. Gerade im Vergleich mit dem wuchtigen Schluss eines „Winger“ zieht „100 Sideways Miles“ eindeutig den Kürzeren und plätschert vielmehr seinem Ende entgegen. Zudem kommt als mittelschweres Ärgernis hinzu, dass der erwähnte Klappentext wirklich alle wichtigen Eckpunkte der Handlung vorwegnimmt und die komplette Storyline bis ca. 10 Seiten vor Schluss verrät – was auch immer sich die Verantwortlichen dabei gedacht haben.
Lesenswerte Coming-of-Age-Story mit jedoch zu dünnem Plot
Somit hinterlässt das Buch einen etwas gemischten Eindruck: Einerseits bietet Andrew Smith hier erneut eine kurzweilige und amüsante Coming-of-Age-Story mit vielen kleinen originellen Einfällen und Eigenheiten und sympathischen Charakteren, von denen Cade als Sidekick dem eigentlichen Protagonisten fast ein wenig die Show stiehlt. Auf der anderen Seite fehlt es der Geschichte aber einfach an Tiefe – allzu viel wird davon vermutlich eher nicht im Gedächtnis bleiben. Und so sehr ich die Lektüre die meiste Zeit über auch genossen habe: Wenn ich ehrlich bin hätte ich manchmal lieber einen Blick in den immer wieder zitierten Sci-Fi-Roman von Finns Vater geworfen, dessen Story wirklich zu gut klingt, um nur auf ein „Buch im Buch“ reduziert zu bleiben. Trotzdem ist „100 Sideways Miles“ immer noch ein schönes und lesenswertes Buch – nur meiner Meinung nach nicht ganz so gut wie „Winger“ und „Grasshopper Jungle“.
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Charaktere: | |
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7/10