Tags: Clown, Club der Verlierer, David Nathan, Derry, Entführungen, ES, Kanalisation, Kinder, Morde, Pennywise, Stephen King
Genre: Drama, Horror, Klassiker, Mystery
Autor: Stephen King
Sprecher: David Nathan
Länge: 51 Std. 52 Min. (ungekürzt)
Inhaltsbeschreibung von audible.de:
Die elfjährigen Freunde Bill Denbrough, Mike Hanlon, Ben Hanscom, Beverly Marsh, Stan Uris, Richie Tozier und Eddie Kaspbrak haben zusammen den „Club der Verlierer“ gegründet. Gemeinsam wollen sie stärker sein als jeder einzelne von ihnen, da jeder im Club eine besondere Schwäche hat: Bill stottert, Mike ist schwarz, Ben ist übergewichtig, Beverly ist arm, Stan ist Jude, Richie ist vorlaut und Brillenträger und Eddie klein und kränklich. Sie tun sich zusammen, um vor allem Henry Bowers die Stirn zu bieten, ein 12-jähriger Junge, der gerne kleinere Kinder verprügelt, und der es immer auf einen von ihnen abgesehen hat. Doch die größte Angst haben die drei vor einem grauenhaften Mysterium in ihrer Kleinstadt Derry. In gewissen Abständen werden Kinder kaltblütig ermordet oder verschwinden spurlos. Als Bills jüngerer Bruder Georgie eines Tages Opfer einer dieser grausamen Taten wird, beschließen die Jugendlichen, den Täter oder die Ursache dieser grausamen Morde zu finden. Alles was sie haben, ist eine vage Spur.
Genau 27 Jahre liegen jeweils zwischen den Morden in Derry. Der Club der Verlierer macht sich auf die Suche und begegnet Es in der Kanalisation, wo sie Es aufspüren. Obwohl sie glauben, dem Grauen ein Ende setzen zu können, müssen die Jungen Jahre später als erwachsene Männer feststellen, das Es wieder da ist. Das Entsetzen beginnt von Neuem…
Meine Hörbuchbesprechung:
1958 in der (fiktiven) amerikanischen Kleinstadt Derry im US-Bundesstaat Maine: Seit geraumer Zeit verschwinden in der Stadt immer wieder kleine Kinder oder werden grausam ermordet. Unter den Opfern ist auch der kleine Bruder von Bill Denbrough, der zusammen mit seinen sechs Freunden Mike, Ben, Beverly, Stan, Richie und Eddie den „Club der Verlierer“ gegründet hat. Da alle von ihnen auf verschiedene Arten gegenüber den anderen Kindern ihres Alters benachteiligt sind und daher oft von den Älteren, speziell von dem Schläger Henry Bowers, verfolgt und verprügelt werden, haben sich die sieben zusammengetan, um sich gegenseitig zu stärken und gegen die Anfeindungen verteidigen zu können. Als immer mehr Kinder der Verbrechensserie zum Opfer fallen, beginnt der Club Nachforschungen anzustellen und den Grund für die Morde und Entführungen herauszufinden…
Eine beängstigende Mordserie an Kindern beginnt nach 27-jähriger Pause erneut
Im Jahr 1985 hat sich der Club der Verlierer lange aufgelöst und der Großteil der Mitglieder hat Derry verlassen, nachdem sie ES, die Ursache der Mordserie, scheinbar zur Strecke gebracht hatten. Als sich jedoch in der Stadt erneut die Verbrechen häufen und wieder eine Reihe von Kindern verschwindet, befürchtet Mike – der als einziger Derry nie verlassen hat – dass der Schrecken zurückgekehrt ist und erneut Jagd auf kleine Jungen und Mädchen macht. Er beschließt daher, seine alten Freunde anzurufen und sie zu versammeln, um ES endgültig zu töten…
Stephen Kings Epos in der ungekürzten Neuauflage von 2011
„ES“ ist wohl das bekannteste Werk des amerikanischen Horror-Autors Stephen King und mit über 1500 Seiten auch eines seiner umfangreichsten. Erstmals in deutscher Sprache erschienen ist der Roman 1986, allerdings nur in einer gekürzten Fassung des englischen Originaltextes. Erst 25 Jahre später wurde auch im deutschen Sprachraum in einer Neuauflage der ursprüngliche und vollständige Text veröffentlich, der auch die Grundlage für das knapp 52 Stunden lange ungekürzte Hörbuch war.
Anstrenge Anfangsphase mit verwirrender Erzählstruktur
Stephen King macht es seinen Hörern am Anfang alles andere als einfach. Grundsätzlich wird die Geschichte von „ES“ nämlich in zwei verschiedenen Zeitebenen geschildert, die abwechselnd foranschreiten: Der eine Handlungsstrang umfasst die Kindheit des „Clubs der Verlierer“ im Jahr 1957, der zweite das erneute Zusammentreffen der sieben Freunde 27 Jahre später. Das ist noch nicht weiter schwierig, doch nach zwei kurzen Vorspielen, die den Mord an Bill Denbroughs Bruder George sowie den Auftakt der erneuten Mordserie im Jahr 1984 erzählen, werden anschließend erst einmal ausführlich die einzelnen Clubmitglieder eingeführt. An dieser Stelle wird es kompliziert, denn zunächst ist zwischen den Figuren kein Zusammenhang erkennbar. Mal lernt man einen Charakter als Erwachsener kennen, dann springt die Geschichte wieder in die Vergangenheit und zu einem anderen Charakter im Kindesalter und so geht es erst einmal munter weiter, ohne dass ein Handlungsfaden erkennbar wäre. Nach fünf Stunden war ich als Hörer dann schon ein wenig entnervt, da es wirklich nicht einfach ist, bei den vielen Figuren den Überblick zu behalten.
Eine Gruppe von Verlierern als uneingeschränkte Sympathieträger
Hat man diese Anfangsphase aber überstanden, beginnt Stephen King langsam damit, die zuvor losen Erzählstränge in kleinen Schritten zusammenzuführen und beim Hörer beginnt sich eine zarte Faszination zu entwickeln. Nach und nach formt sich der „Club der Verlierer“ und man ist hautnah dabei, wenn aus unterschiedlichen Gründen die einzelnen Mitglieder dazu stoßen und verfolgt, wie sich die Gruppendynamik vorsichtig entwickelt. Dabei hat jeder der sieben Freunde ein eigenes Handicap und stammt entweder aus einer gesellschaftlichen Randgruppe oder ist körperlich eingeschränkt: Bill Denbrough leidet unter extremem Stottern, Mike Hanlon ist schwarz, Ben Hanscom wird wegen seines enormen Übergewichts gehänselt, Beverly Marsh ist arm und wird von ihrem Vater tyrannisiert, Stan Uris ist Jude, Richie Tozier hat eine große Klappe, die ihn dauernd in Schwierigkeiten bringt und Eddie Kaspbrak ist schwächlich und wird von seiner Mutter allzu fürsorglich behütet. Es dauert zwar ein wenig, bis man die Namen und die Benachteiligungen auswendig beherrscht und blind zuordnen kann, doch wenn man das einmal raus hat, fühlt man sich wie ein achtes Mitglied des Clubs. Der Hörer ist nicht nur Zuschauer, sondern dank Kings ausschmückender Erzählweise mittendrin. Er kennt alle Stärken und Schwächen der Kinder, weiß über ihre Familien bescheid und mit welchen Problemen und Ängsten sie sich in ihrem alltäglichen Leben konfrontiert sehen – kurzum, man weiß über den Club der Verlierer einfach alles und genießt es, ein Teil dieser Gruppe zu sein. Zwar wird sich dort auch zuweilen gestritten oder geneckt, doch wenn es hart auf hart kommt kann sich jeder hundertprozentig auf den anderen verlassen.
ES – das Böse in seiner reinsten Form
Neben dem Club der Verlierer als Identifikationsfiguren gibt es noch eine Reihe von Gegenspielern, die das Leben der Freunde zur Hölle machen. Dabei reicht die Bandbreite von jugendlichen Schlägern wie Henry Bowers und seiner Gang über strenge Eltern, wütende Ex-Männer bis hin zum Hauptgegner, dem ominösen ES. Über den Hintergrund und die Form des Wesens lässt King seinen Hörer lange im Unklaren und man sieht es lediglich in seinen vielfältigen Erscheinungsformen, welche ES gegenüber den Kindern einnimmt. Zumeist als beängstigender Clown Pennywise aber auch oft in der Gestalt der größten Ängste seiner Opfer, mal als riesiger Vogel, als furchterregender Werwolf oder als abstoßender Leprakranker. Schnell wird klar, dass es die Kinder mit einem schier übermächtigen Gegner zu tun haben, dem auf normalen Wege nicht beizukommen ist – mehr soll aber hier auch nicht verraten werden.
Bemerkenswerte Detailverliebtheit in Bezug auf Charaktere und Schauplätze
Wer schon mal ein Buch von Stephen King gelesen hat, der weiß, wie großartig der Autor seine Geschichten entwickeln kann. Haupt- und Nebencharaktere werden genauso detailliert beschrieben wie die Schauplätze der Handlung, in diesem Fall die Kleinstadt Derry, die fast schon als Hölle auf Erden dargestellt wird. In regelmäßigen Abständen geschehen dort furchtbare Verbrechen und viele Bewohner erscheinen um einiges böser als in anderen Städten und sind zu grausamen Taten bereit. Dementsprechend düster sind auch einzelnen Handlungsorte, wie z.B. die „Barrens“, eine ungemütliche Moorlandschaft oder auch die Kanalisation von Derry, in der das Übel seinen Ursprung zu haben scheint.
Langatmige und überflüssige Zwischenspiele
Diese extreme Detailverliebtheit hat natürlich den großen Vorteil, dass das gesamte Setting unheimlich lebensecht wirkt und man sich Orte und Figuren leibhaftig vorstellen kann. Andererseits liegt hier aber auch die eklatanteste Schwäche von „ES“: Viele Passagen des Romans sind einfach unglaublich langatmig und bringen die eigentliche Handlung überhaupt nicht voran. Am schlimmsten habe ich die diversen Zwischenspiele empfunden, in denen Mike Hanlon aus seiner Stadtgeschichte über Derry vorträgt. Diese Stellen haben keinen unmittelbaren Einfluss auf die Geschichte, sondern geben lediglich ein noch umfassenderes Bild über den Schauplatz, der aus meiner Sicht aber auch so schon genügend beschrieben wird. Teilweise dauern diese Ausflüge jeweils über eine Stunde und man sehnt sich den Punkt förmlich herbei, an dem es wieder mit dem Club der Verlierer und ES weitergeht. Hier hätten ein paar Kürzungen dem Roman sicherlich gutgetan und es stellt sich die Frage, ob die 1986 erschienene unvollständige Ausgabe vielleicht nicht die bessere Fassung gewesen wäre.
Derbe Ausdrucksweise und fragwürdiger Einfluss von Sexualität
Mein zweiter Hauptkritikpunkt betrifft die Sprache, der sich Stephen King bei seinem Roman bedient. Ich bin bei weitem nicht empfindlich oder zimperlich, doch was die Ausdrucksweise des Autors angeht, so ist diese teilweise schon schwer erträglich. King wirft mit Schimpfwörtern und Fakälsprache nur so um sich und lässt die Figuren sich stellenweise aufs Übelste beleidigen – immer vor dem Hintergrund, dass man es hier mit Kindern im Alter von elf bis zwölf Jahren zu tun hat. Abgesehen von den Kraftausdrücken strotzt das Buch auch nur so vor anzüglichen Passagen und es scheint fast so, als würden die Bewohner Derrys bei jeder Gelegenheit sexuell erregt werden. Egal ob jemand verprügelt wird oder ein Mädchen im knappen Oberteil daherkommt, irgendeiner hat immer eine Erektion und geilt sich an den verschiedensten Dingen auf. Der Gipfel ist jedoch eine Gruppensex-Szene, in der sich ein elfjähriges Mädchen nacheinander mit sechs gleichaltrigen Jungen vergnügt (von wem könnte hier wohl die Rede sein), was in aller Ausführlichkeit geschildert wird. Zwar ist diese Stelle nicht unwichtig für die Handlung (wenn auch auf absurde Art und Weise), doch lässt sie zuweilen schon stark daran zweifeln, ob an Stephen Kings Geisteszustand noch alles in Ordnung ist.
Der Sprecher:
Ein exklusives und ungekürztes Stephen King-Hörbuch von Audible – wer könnte da wohl als Erzähler in Frage kommen? Natürlich kann es darauf nur eine mögliche Antwort geben: David Nathan. Der wohl beste deutsche Hörbuchsprecher liefert mit der Umsetzung von „ES“ sein absolutes Meisterwerk ab. Wenn Nathan ein Buch in Normalform vorliest, so ist das in der Regel schon grandios und stellt selbst sehr gute Sprecher locker in den Schatten. Was er aber bei diesem Hörbuch auspackt, ist schlicht und einfach der Wahnsinn und kaum noch angemessen zu beschreiben.
Die ultimative Sprecherleistung
So vielseitig durfte man David Nathan wohl noch nie erleben und noch dazu sind alle seine Rollen perfekt interpretiert. Besonderes Augenmerk liegt natürlich auf den sieben Hauptfiguren sowie dem Wesen ES, da diese die meiste Zeit des Romans einnehmen. Jeder der Figuren hat eine ganz individuelle Art zu sprechen und hat dadurch einen hundertprozentigen Wiedererkennungswert. Unbedingt hervorzuheben ist zum einen die Rolle des Bill Denbrough, der wirklich extrem stottert, was für einen Sprecher vermutlich ungemein schwer zu lesen ist, bei Nathan aber jederzeit mühelos und authentisch klingt. Noch genialer ist aber seine Interpretation von Richie Tozier, der in gefühlt jedem zweiten Satz eine Parodie vom Stapel lässt. Was sich David Nathan hier hat einfallen lassen, ist einfach nur unglaublich und besitzt einen enormen Unterhaltungswert. Wenn er seine übertriebene Moderatorenstimme auspackt oder einen stocksteifen englischen Butler gibt, ist das wahnsinnig komisch und sorgt in dem sonst so düsteren Werk für humorvolle Momente. Es geht aber noch eine Nummer besser, denn wie Nathan ES spricht, ist beängstigend, unheimlich und schockierend zugleich. Mal mit dem Unterton gefährlicher Verlockung, mal mit herrischem Befehlston und nicht selten schreit sich Nathan auch die Seele aus dem Leib, was auf den Hörer sehr eindrucksvoll wirkt. Die begnadete Sprecherleistung sorgt zudem dafür, dass auch die extrem langatmigen Passagen noch erträglich geraten und ist alleine schon den Kaufpreis wert.
Schlussfazit:
Die richtige Bewertung zu finden, ist mir bei Stephen Kings „ES“ wahrlicht nicht einfach gefallen. Zum einen bietet dieses Buch vielleicht die am sorgfältigsten ausgearbeitete Geschichte, die ich jemals gelesen oder gehört habe. Die Charakterisierung der Hauptfiguren sowie die Beschreibung der Schauplätze erfolgt in einem von mir bisher nicht gekannten Ausmaß und sorgt für absolutes Kopfkino. Jede Straße, jede Häuserecke und jeder Charakter ist bis ins kleinste Detail vorstellbar und Kings Erzählung lässt teilweise die Grenzen zwischen Buch und Hörer verschwimmen. Man bekommt die Geschichte nicht einfach nur geschildert, man ist ein Teil davon und begibt sich mit „ES“ auf eine 52 Stunden lange Reise nach Derry, Maine. Da man dieses Hörbuch nicht einfach in drei Tagen weghören kann hat dieser Ausflug bei mir gute drei Wochen gedauert und in dieser Zeit ist mir der Club der Verlierer ans Herz gewachsen wie wenige Romanfiguren zuvor.
Guter Stephen King, grandioser David Nathan
Andererseits lässt sich bei aller Erzählkunst von Stephen King aber auch nicht verleugnen, dass die Geschichte einfach viel zu lang ist. Die meisten ausführlichen Beschreibungen der Charaktere und Orte sind für das Erleben des Buches zwar absolut notwendig, doch an nicht wenigen Stellen geht es mit dem Autor aber auch gnadenlos durch und er verliert völlig den roten Faden. Stundenlange Ausflüge in Derrys Stadtgeschichte sind leider größtenteils nur ermüdend und strapazieren die Geduld des Hörers aufs Äußerste. Hier hätte man vermutlich gute zehn Stunden einfach weglassen können und keinem wäre es negativ aufgefallen. Zum anderen ist Kings Erzählweise mir persönlich in diesem Buch zu obszön und vulgär. Man hätte die Geschichte sicherlich auch erzählen können, ohne alle paar Seiten mit Ausdrücken wie „Fotze“, „Arschgeburt“, „Hurensohn“ etc. um sich zu werfen. Natürlich zeigt das auch die Verdorbenheit des Städtchens Derry, doch für mich war es ein wenig too much. Ohne jeden Zweifel erhaben ist aber die Lesung von David Nathan, welche mit Abstand das Beste ist, was ich bei rund 200 gehörten Hörbüchern bis jetzt erlebt habe. Für die Story an sich gibt es daher von mir acht Punkte, für den Sprecher die Maximalpunktzahl (die eigentlich noch viel zu wenig ist) und somit landet das Hörbuch noch locker im sehr guten Wertungsbereich – ein Meisterwerk, bei dem alles passt, ist es aber für mich nicht.
Meine Wertung: 9/10
Informationen:
Das Hörbuch „ES“ von Stephen King hat eine Länge von 51 Std. und 52 Min. und ist ungekürzt für 39,95 Euro bei audible.de erhältlich. Kunden mit Flexi-Abo bezahlen wie gewohnt nur 9,95 Euro. Weitere Infos gibt es auf der Detail-Seite bei audible.de.