Unabhängig davon, ob sie auf tatsächlichen Begebenheiten beruhen oder nicht, haben erfolgreiche Sportromane in der Regel eines gemeinsam: sie erzählen von Außenseitern, die aufgrund von speziellen Umständen, außergewöhnlichen Zusammenhalts oder vielleicht auch nur durch das nötige Quentchen Glück Einzigartiges erreichen. Solche Wunder sind zwar in der Realität wie auch in der Fiktion ziemlich selten, gerade das macht sie jedoch so mitreißend und besonders – und seien wir mal ehrlich: wohl nur wenige würde z.B. ein Roman oder ein Film über die 27. Deutsche Fußballmeisterschaft des FC Bayern München interessieren. Geschichten wie die Baseball-Erfolgsstory „Die Indianer von Cleveland“ oder das Rugby-Drama „Invictus – Unbezwungen“ hingegen erfreuen sich auch viele Jahre nach ihrem Erscheinen noch großer Beliebtheit – und wer schwelgt hierzulande nicht gerne in Erinnerungen an das „Wunder von Bern“, den ersten WM-Titel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft?

Von der Dorftruppe zum englischen Pokalsieger

So überrascht es nicht, dass auch in „Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten“ vom inzwischen bereits verstorbenen britischen Schriftsteller J.L. Carr ein Underdog im Mittelpunkt der Geschichte steht, in diesem Fall nämlich die Dorfmannschaft der 547-Seelen-Gemeinde Steeple Sinderby. Und der im Titel des Buches erwähnte Pokal ist nicht etwa die regionale Stadtmeisterschaft, sondern nichts geringeres als der Football Association Challenge Cup – kurz FA-Cup genannt–, der größte Pokalwettbewerb im englischen Fußball und nebenbei auch noch der älteste Fußballwettbewerb der Welt. Auch wenn dieser traditionsreiche Pokal in seiner mehr als 140-jährigen Geschichte schon viele Sensationen gesehen hat, so verrät spätestens ein Blick in die Siegerliste doch eines: eine Mannschaft mit dem Namen Steeple Sinderby Wanderers hat es in diesem Wettbewerb nie gegeben und somit ist klar, dass Carrs Fußballmärchen lediglich ein Produkt seiner Fantasie ist.

Mit Lehrer, Pfarrer und Milchmann gegen die großen Stars

In der englischen Provinz beginnt die Erfolgsstory mit der Idee eines ungarischen Schuldirektors, der mit seinen unkonventionellen Lernmethoden bereits die Schüler von Steeple Sinderby zu außerordentlichen Leistungen geführt hat und davon überzeugt ist, dass mit einigen einfachen Grundsätzen auch der örtliche Fußballverein zu Wunderdingen in der Lage sei. Sechs einfache Regeln sollen aus einer Truppe von bisher relativ erfolglosen Hobbykickern ein Team machen, dass selbst gegen die hochklassigen Profivereine bestehen und letztendlich sogar den FA-Cup nach Sinderby holen soll. Unterstützt von den finanziellen Mitteln des einflussreichen Unternehmers und Gemeindeoberhauptes Mr. Fangfoss wird der Verein systematisch umgekrempelt und das völlig verrückt erscheinende Projekt angegangen – mit dabei: der Grundschullehrer Alex Slingsby, der es in seiner sportlichen Karriere immerhin schon mal zu ein paar Erstliga-Einsätzen für Aston Villa gebracht hat, dann aber wegen der Erkrankung seiner Frau die Profi-Laufbahn an den Nagel hängen musste und hinaus aufs Dorf zog, wo er nun das neu formierte Amateurteam mit seiner Erfahrung zum Pokal-Triumph führen soll.

Eine nette, aber doch recht realitätsfremde Träumerei

Man muss kein eingefleischter Fußballexperte sein, um schon recht früh zu merken, dass „Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten“ nicht unbedingt die realistischste Außenseiterstory ist, dafür ist die Cinderella-Story um die Provinztruppe bestehend aus Lehrer, Milchmann, Pfarrer & Co. einfach zu absurd und auch die strikte Einhaltung von ein paar aufgestellten Leitlinien macht aus zum Teil sogar völlig Fußball-unerfahrenen Männern sicherlich keine Mannschaft, die mit professionell geführten Teams mithalten kann. Nun spielt J.L. Carrs Roman zwar bereits in den 1970er-Jahren und damit weit vor den Zeiten, wo die englische Premier League inzwischen zu einem Milliardengeschäft geworden ist und die Superstars in den Vereinen Schlange stehen, trotzdem ist die Geschichte schlicht und einfach zu realitätsfremd, um ein ernstzunehmendes Sportdrama zu sein. Das Buch ist vielmehr eine Satire auf den Fußball, die Medienlandschaft auf der britischen Insel und vor allem auf das typisch englische Dorfleben, wo gerne auch mal das Spießertum regiert. So kommt es zum Beispiel zu einem erbitterten Streit um einen Beerdigungstermin, weil der Pfarrer am Tag der geplanten Beisetzung unbedingt für ein wichtiges Spiel gebraucht wird, die Witwe des Verstorbenen aber unnachgiebig auf dem Datum beharrt und die Wanderers somit in ernste Nöte führt. Das ist zwar alles recht amüsant und wird mit einer angenehmen Leichtigkeit aus der Sicht des Chronisten Mr. Gidner, der sein Geld eigentlich mit dem Schreiben von Grußkarten-Texten verdient und nun rückblickend vom unglaublichen Triumphzug des Teams berichtet, erzählt, insgesamt ist der von vielen Seiten so sehr gefeierte britische Humor dieses Romans aber doch eher zahm und führt wohl kaum zu richtig herzlichen Lachern.

Ein Fußballwunder, dem die Emotionen fehlen

Das größte Problem der Erzählung ist jedoch ein ganz anderes, denn wirklich mitreißende Sportromane leben doch vor allem von einem ganz zentralen Aspekt: Emotionen. In dieser Hinsicht versagt „Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten“ leider auf nahezu ganzer Linie, denn wer sich von dem Buch packende Spielberichte und dramatische Szenen erhofft, der wird leider bitter enttäuscht. Die eigentlichen Spiele der Wanderers nehmen nämlich nur einen kleinen Teil der Geschichte ein und werden nur sehr trocken durch das Vorlesen von Zeitungsberichten abgehandelt, die zumeist leider jegliche Emotionalität vermissen lassen. Höhepunkt dieser faden Berichterstattung ist die Schilderung des Halbfinales (!), bei dem lediglich kurz das Endergebnis verkündet und auf jegliche Spielszenen komplett verzichtet wird – für eine Fußballstory eigentlich ein Unding. Zudem trägt es natürlich auch nicht gerade zur Spannung bei, wenn der Ausgang der Geschichte bereits im Titel verraten wird und es somit nie einen Zweifel am Sieg der Steeple Sinderby Wanderers gibt. Dieses Problem haben zwar auch Sportdramen, die auf tatsächlichen Geschehnissen basieren, diese schaffen es dann aber zumeist dennoch, mit packenden Spielszenen und einer begeisternden Erzählung ihr Publikum richtig mitfiebern zu lassen.

Als Satire recht amüsant, als Sportdrama enttäuschend

Somit ist Carrs Roman letztlich ein zweischneidiges Schwert: Wer gerne eine kurz(weilig)e, amüsante und manchmal sogar etwas melancholische Geschichte über das englische Dorfleben lesen möchte und dabei eigentlich kein großes Interesse an Fußball und entsprechenden Szenen hat, der wird mit „Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten“ sicherlich gut unterhalten. Erhofft man sich von dem Buch jedoch ein mitreißendes Sportdrama und detaillierte Einblicke in den englischen Fußball, so läuft man doch stark Gefahr, von diesem Werk enttäuscht zu werden – dafür sind die Spielszenen einfach zu dröge, der fußballerische Aspekt zu beiläufig und das Märchen an sich insgesamt einfach viel zu unrealistisch. Uneingeschränkt empfehlenswert ist dagegen die Lesung von Thomas Sarbacher, der den zarten Humor der Geschichte mit der nötigen Leichtigkeit transportiert und sehr gut zum nostalgischen Charakter des Buches passt.

Vielen Dank an Der Audio Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars! Link zum Buch

Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten
  • Autor:
  • Sprecher: Thomas Sarbacher
  • Original Titel: How Steeple Sinderby Wanderers Won the F.A. Cup
  • Länge: 5 Std. 11 Min. (ungekürzt)
  • Verlag: Der Audio Verlag
  • Erscheinungsdatum: 7. April 2017
  • Preis Audio-CD 13,95 €
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Sprecher:
Gesamt:
6/10
Fazit:
J.L. Carr Fußballmärchen "Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten" punktet als amüsante und in den besten Momenten sogar unerwartet wehmütige Satire auf das englische Dorfleben, als ernstzunehmendes Sportdrama scheitert die Erzählung jedoch an vor allem in den Spielszenen fehlender Emotionalität und zu geringer Glaubwürdigkeit.

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