Zerschunden_Rezi

Als renommierter Rechtsmediziner der BKA-Sonderabteilung für Extremdelikte bekommt Fred Abel jeden Tag die Abgründe der menschlichen Gesellschaft zu sehen und wird immer wieder aufs Neue mit unvorstellbaren Grausamkeiten konfrontiert. Sein aktueller Fall stellt ihn allerdings vor eine ganz spezielle Herausforderung: eine alte Frau wurde in ihrer Wohnung überfallen und ermordet. Der Täter hat dabei eine kryptische Botschaft auf dem Körper der Frau hinterlassen, denn auf den Beinen der Frau finden sich die mit Lippenstift geschriebenen Worte „Respectez Asia“ – eine Nachricht, die den Ermittlern nicht nur wegen der offenkundigen Grammatikschwäche des Mörders Rätsel aufgibt. Eine Untersuchung der wenigen Spuren am Tatort liefert Fred Abel jedoch noch ein beunruhigendes Ergebnis, denn eine spezielle DNA-Analyse deutet auf einen alten Bekannten des Rechtsmediziners als Täter hin: Mit Lars Moewig hatte Fred damals gemeinsam bei der Bundeswehr gedient, nun ist sein alter Kamerad plötzlich Hauptverdächtiger in einem Mordfall. Trotz des hitzigen Temperaments des Soldaten ist Abel jedoch von dessen Unschuld überzeugt, doch für ihn beginnt ein Wettlauf gegen die Uhr: Moewigs krebskranke Tochter liegt im Sterben und damit Lars sein Kind noch einmal sehen kann, muss Fred ihn schnellstmöglich aus der Untersuchungshaft befreien – und der einzige Weg dahin führt über die Ergreifung des wahren Täters…

Ein True-Crime-Thriller von Deutschlands prominentestem Rechtsmediziner

Michael Tsokos zählt zu den bekanntesten und erfolgreichsten Rechtsmedizinern Deutschlands und dürfte vor allem seit seinem gemeinsam mit Bestsellerautor Sebastian Fitzek verfassten Roman „Abgeschnitten“ (dessen Hauptfigur Paul Herzfeld hier sogar einen kleinen Gastauftritt hat) vor allem Krimi- und Thrillerfans ein Begriff sein. Nun hat Tsokos gemeinsam mit seinem Co-Autor Andreas Gößling einen weiteres Buch verfasst, das vom Verlag als „True-Crime-Thriller“ beworben wird und angeblich zu großen Teilen auf tatsächlichen Erfahrungen des Rechtsmediziners und authentischen Fällen basieren soll. Inwieweit die Romanhandlung von „Zerschunden“ nun allerdings tatsächlich mit der Realität übereinstimmt, darüber gibt die Hörbuchfassung aufgrund des hier fehlenden Nachworts des Autors leider keine Auskunft, glaubt man den Darstellungen des Arbeitsalltages von Protagonist Fred Abel jedoch, dann dürfte der Beruf des Rechtsmediziners in der deutschen Hauptstadt wahrlich kein Zuckerschlecken sein. Abel eilt zu Beginn der Geschichte nämlich regelrecht von Leiche zu Leiche und jongliert schon nach kurzer Zeit mit mehreren Fällen, von denen einer sich jedoch nach der Anfangsphase als Haupthandlung herausstellt: ein Killer macht offenbar Jagd auf alte Frauen und hinterlässt die immer gleiche rätselhafte Botschaft.

Spannende Verbrecherjagd durch halb Europa

Beim Hören des Hörbuches wird dabei schnell klar, dass Michael Tsokos bei der gemeinsamen Arbeit mit Sebastian Fitzek offenbar gut aufgepasst und sich abgeschaut hat, wie man einen Thriller in kurzer Zeit auf ein hohes Tempo bringt und die Spannung hochschraubt: Gerade in den ersten Kapiteln überschlägt sich Tsokos förmlich und übertreibt es fast ein wenig mit dem Spektakel. Hier eine kleine Grausamkeit, da eine Anekdote über einen aufsehenerregenden Mordfall, dazwischen eine gefährliche Geiselnahme – man könnte fast den Eindruck gewinnen, Fred Abel sei kein Rechtsmediziner, der seinen Alltag in kalten Autopsieräumen verbringt, sondern würde stattdessen gemeinsam mit Bruce Willis und Jean Reno in einem Hollywoodfilm auf Verbrecherjagd gehen. Ob der Alltag eines deutschen Rechtsmediziners tatsächlich so aussieht und ob man wirklich derartig umfangreiche Ermittlungsbefugnisse hat wie Fred Abel, darf zwar bezweifelt werden, unterhaltsam ist die sich bis über die Landesgrenzen hinaus ausbreitende Verbrecherjagd aber allemal. Der Fall ist packend und weitestgehend schlüssig konstruiert, die Kapitel sind kurz und knackig und durch die traurige Hintergrundgeschichte um das im Sterben liegende Kind des Hauptverdächtigen sorgt auch die gegen Abel tickende Uhr für zusätzliche Spannung.

Ein packender, aber etwas überladener Thriller

Allerdings hätte ich mir von dem ersten eigenen Werk von Michael Tsokos allerdings insgeheim einen Roman erhofft, der dem Begriff „True Crime“ etwas mehr gerecht wird. Mag sein dass die Geschichte tatsächlich auf einem realen Fall basiert, durch die etwas aufgeblasene Story und die häufig übertrieben reißerischen Beschreibungen fühlt sich „Zerschunden“ allerdings selten auch so an. Zwar liefert Tsokos hin und wieder interessante Einblicke in seine Arbeit und macht seine Leser z.B. mit dem Prinzip der Hablotyp-Analyse oder dem „Geographical Profiling“ vertraut, ich hätte mir von dem Buch jedoch deutlich mehr Informationen über den Bereich der Forensik gewünscht, denn was die Spurensuche an Tatorten und Leichen betrifft, so bleiben Tsokos und Goeßling für meinen Geschmack zu oberflächlich. Manchmal hatte ich den Eindruck, die beiden Autoren haben es sich zu sehr zum Ziel gesetzt, ihr Publikum zu schocken und die Action dabei über die Wissenschaft gestellt. Das kann man natürlich so machen und herausgekommen ist dabei auch ein wirklich kurzweiliger und spannender Thriller, wenn man aber schon mal einen Kriminalroman von einem führenden deutschen Rechtsmediziner bekommt, darf dieser sich von dem üblichen Genre-Einheitsbrei aber gerne noch ein bisschen mehr abheben, zumal die Auflösung nach all der Aufregung zuvor ein wenig unspektakulär ausfällt und man ein bisschen die überraschende Schlusspointe vermisst. Da der Charakter Fred Abel aber offenbar als Serienfigur angelegt ist, bleibt Tsokos in diesem Punkt jedoch wohl noch Gelegenheit zur Nachbesserung. Wünschenswert wäre es dann auch, wenn er die stellenweise fast schon peinlich-vulgäre Ausdrucksweise ein wenig zurückschrauben würde, denn wenn einem Simon Jäger zum Ende hin fast im Minutentakt Begriffe wie „Fotze“ und „Schlampe“ ins Ohr brüllt, kann einem der Sprecher fast schon ein wenig leid tun.

Zerschunden
  • Autor:
  • Sprecher: Simon Jäger
  • Länge: 11 Std. 36 Min. (ungekürzt)
  • Verlag: Audible GmbH
  • Erscheinungsdatum: 1. Oktober 2015
  • Preis 19,95 € (9,95 € im Audible-Flexi-Abo)
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Sprecher:
Gesamt:
7/10
Fazit:
Auch ohne die Unterstützung von Sebastian Fitzek legt Rechtsmediziner Michael Tsokos mit „Zerschunden“ einen packenden und kurzweiligen Thriller vor, der bei allem Spektakel insgesamt jedoch ein wenig überfrachtet wirkt und etwas zu selten die forensischen Hintergründe bietet, die man durch den Hauptberuf des Autors eigentlich erwarten durfte.

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