Blutiger Winter_Rezi

Eisiger Winter in Bischkek, Kirgisistan: Im Schnee wird die Leiche einer jungen Frau gefunden, die von ihrem Mörder auf schreckliche Weise zugerichtet wurde. Der Körper des Opfers ist aufgeschlitzt und im offenen Bauch liegt ein blutiger Fötus – nicht nur für den erfahrenen Inspektor Akyl Borubaev ein Bild des Grauens. Der Fall wird aber noch verstörender, denn wie die Untersuchung der Leiche ergibt, war die Frau überhaupt nicht schwanger, was bedeutet, dass der Täter ein fremdes Kind am Tatort platziert haben muss. Daraus lässt sich aber auch genauso schließen, dass es irgendwo in Bischkek und Umgebung noch eine weitere tote Frau geben muss, welcher der Fötus aus dem Unterleib geschnitten wurde. Als wäre dieser Fall für Borubaev noch nicht kompliziert genug, so werden seine Ermittlungen durch eine weitere Tatsache noch weiter erschwert: Das Mordopfer ist nämlich die Tochter eines hochrangigen kirgisischen Politikers…

Mord und Totschlag im eisigen Kirgisistan

Es ist ein ungewöhnlicher Schauplatz, an den Tom Callaghan seine Leser mit seinem Debütroman „Blutiger Winter“ verschlägt und einer, den man auf der Landkarte vermutlich erst einmal eine Weile suchen muss: Die Kirgisische Republik, gelegen mitten in Zentralasien und umgrenzt von Kasachstan, Tadschikistan, Usbekistan und China. Und wenn man die ersten Kapitel des Buches gelesen hat, ist man vermutlich nicht einmal besonders erpicht darauf, jemals auch nur in die Nähe dieses unwirtlich wirkenden Landes zu gelangen. Gleich in einer der ersten Szenen erlebt man nämlich an der Seite der Hauptfigur, dem Inspektors Akyl Borubaev, die Obduktion eines Toten mit, der an der sich in der Region immer weiter verbreitenden „Krokodil“-Droge elendig verreckt und lebendig verfault ist – dagegen wirkt selbst der grausige Tatort mit der ermordeten Frau und dem blutigen Fötus fast schon harmlos. Einen Vorteil hat dieser schonungslose Einstieg aber auf jeden Fall: Man weiß sehr früh, worauf man sich im Callaghans Thriller einstellen muss und kann schnell entscheiden, ob man diesen harten Weg tatsächlich mitgehen möchte.

Von der Serienmörder-Story zum komplexen Polit-Thriller

Was als zwar schockierender, aber von der Ausgangssituation her dann doch erst einmal weitestgehend gewöhnlicher Whodunit-Krimi beginnt, wird recht schnell zu einem Politikum, als nämlich die Identität der Frauenleiche offenbart wird und Borubaev von dem Vater des Opfers, einem hochrangigen Minister des Landes, persönlich auf die Ergreifung des Täters angesetzt wird – ausgestattet mit allen Freiheiten, aber auch unter entsprechendem Erfolgsdruck. Und als sich die Todesopfer häufen und immer mehr Parteien in den komplexen Fall verwickelt werden, zeigen sich nicht nur dem Inspektor, sondern auch den Lesern die hässlichsten Seiten des zerrütteten Landes. Eine Werbung für Kirgisistan ist „Blutiger Winter“ mit seiner Gewalt und der allgegenwärtigen Korruption nun wahrlich nicht, als Setting für einen unerbittlichen Thriller kann man sich aber kaum einen besseren Schauplatz wünschen, zumal der eisige Winter die menschliche Kälte in dieser Geschichte noch zusätzlich unterstreicht und den Roman auch atmosphärisch zu einem echten Highlight macht.

Ein hochspannender Reihenauftakt ohne Gnade

Tom Callaghan hat mit der Figur des Inspektor Borubaev jedoch einen Charakter geschaffen, der sich in dieser gnadenlosen Welt zu behaupten weiß: Er zählt zu den wenigen noch unbestechlichen Vertretern seines Berufsstandes – vielleicht auch, weil die Aussicht auf ein Leben in Wohlstand nach dem frühen und ihn sehr prägenden Krebstod seiner Frau für ihn keinen Reiz mehr hat. Borubaev hat schlichtweg nichts mehr zu verlieren, was ihn für die Strippenzieher in diesem Fall zu einem unberechenbaren Gegner macht, der sich für die gerechte Sache auch ohne große Vorbehalte selbst in Lebensgefahr bringt und sich nur allzu bereitwillig auf ein riskantes Spiel einlässt. Genau solche Typen braucht das Thriller-Genre, und so ist es umso erfreulicher, dass „Blutiger Winter“ erst der Auftakt zu einer neuen Buchreihe ist und man den harten, aber dennoch sympathischen Borubaev in Zukunft noch öfter begleiten darf. Wer sich also von dem unwirtlichen, an Tom Rob Smiths Leo-Demidov-Reihe erinnernden Setting und der schonungslosen Brutalität nicht abschrecken lässt, bekommt hier ein echtes Highlight geboten: Hochspannend, clever konstruiert, atmosphärisch sehr dicht und ohne Gnade – zumindest aus literarischer Sicht hat sich der weite Weg ins eisige Kirgisistan allemal gelohnt. Und wer zur Hörbuchversion des Romans greift, bekommt mit Gordon Piedesack auch die perfekte Stimme für die Rolle des Akyl Borubaev geboten: knurrig und sarkastisch, aber manchmal auch mit der nötigen Wärme – klasse!

Blutiger Winter
  • Autor:
  • Sprecher: Gordon Piedesack
  • Original Titel: A Killing Winter
  • Reihe: Inspektor Akyl Borubaev #1
  • Länge: 9 Std. 31 Min. (ungekürzt)
  • Verlag: Hoffmann & Campe
  • Erscheinungsdatum: 19. Januar 2015
  • Preis 13,95 € (9,95 € im Audible-Flexi-Abo)
Charaktere:
Story:
Atmosphäre:
Sprecher:
Gesamt:
9/10
Fazit:
Tom Callaghans Debütroman „Blutiger Winter“ ist ein gnadenloser Trip durch das eisige Kirgisistan, der mit einer komplexen und spannenden Story, einer intensiven und bedrückenden Atmosphäre und einer Hauptfigur mit Ecken und Kanten überzeugt – ein toller Reihen-Auftakt!

Kommentar verfassen:

Cancel

2 Antworten zu diesem Beitrag