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Ein unbekannter Rächer macht unerbittlich Jagd auf gewaltbereite Jugendliche – und wird als „Racheengel“ zum gefeierten Medienstar.

Der Rentner Erich Sassbeck befindet sich auf dem Heimweg, als er in der U-Bahn-Station auf zwei gewalttätige Jugendliche aufmerksam wird, welche mutwillig eine Sitzbank demolieren. Sassbeck nimmt seinen Mut zusammen und fordert die beiden auf, mit der Sachbeschädigung aufzuhören und zieht damit sofort den Zorn der Jungen auf sich. Sie lassen von der Bank ab und attackieren umgehend den alten Mann, der innerhalb von Sekunden brutal zusammengeschlagen wird. Als Erich Sassbeck kaum noch bei Bewusstsein ist und fast schon den erlösenden Tod herbeisehnt, passiert plötzlich das Unfassbare: Ein leuchtender Engel taucht aus dem Nichts auf und richtet die beiden Jugendlichen mit zwei Kopfschüssen eiskalt hin. Sassbeck überlebt schwer verletzt, nur um sich danach den Anschuldigungen der Polizei ausgesetzt zu sehen, die ihm die Geschichte vom strahlenden Retter nicht abkauft und den Rentner für den Mörder hält. Nur der Journalist Ingo Praise schenkt dem Mann Glauben und nimmt die Suche nach dem „Racheengel“ auf…

Ein Thriller mit aktueller und brisanter Thematik

Andreas Eschbach hat sich für seinen neuen Roman „Todesengel“ ein brandaktuelles und hochbrisantes Thema ausgesucht: Die unglaublichen Gewaltexzesse mitten auf der Straße, deren Berichte in regelmäßigen Abständen in der Tagespresse zu finden sind. Nicht zuletzt seit dem tragischen Fall um den ermordeten Dominik Brunner aus dem Jahr 2009 gibt es immer wieder Diskussionen, wie solche Übergriffe verhindert und wie die (oft jugendlichen) Gewalttäter bestraft werden müssen. Eschbach wählt für seine Geschichte eine besonders drastische und zugleich provokante Ausgangssituation: Was wäre, wenn ein anonymer Rächer den Tätern den Kampf ansagen und diese mit aller Härte bestrafen würde, indem er die Schläger ohne Rücksicht auf ihr Alter, ihren persönlichen Hintergrund oder sonstige Faktoren bei dem Angriff auf ein unschuldiges Opfer schnell und emotionslos tötet?

Eiskalter Serienkiller oder gefeierter Held?

Juristisch ist ein solches Vorgehen klar abgegrenzt, denn das im Roman geschilderte Verhalten des „Racheengels“ geht ohne jede Frage über das Maß der Nothilfe hinaus und muss als eiskalter Mord betrachtet werden – folglich ist der vermeintliche Retter vor Gericht nichts anderes als ein brutaler Serienmörder. Doch wie sieht die Bevölkerung einen derartigen Fall von Selbstjustiz? Vertritt sie ebenfalls die Auffassung, dass der Rächer für sein Handeln zur Rechenschaft gezogen werden muss, oder verdient er es nicht vielmehr, für sein Eingreifen in aller Öffentlichkeit als Held gefeiert zu werden, der sich für wehrlose Opfer einsetzt und diese beschützt?

Spannender Thrillerplot und interessante mediale Diskussion

Für den Journalisten Ingo Praise, den Protagonisten in „Todesengel“, ist der Fall klar: Er ist der Auffassung, dass der „Racheengel“ für seine Taten gefeiert werden sollte und wittert in einer entsprechenden Berichterstattung zugleich eine erfolgsversprechende Karriere-Chance. Steht er dem Fall „Erich Sassbeck“ zunächst noch eher zurückhaltend gegenüber, so wird ihm nach ersten Interviews schnell klar, dass er den Opfern eine Stimme geben muss und auf die schreckliche Straßenbrutalität und die häufig unverhältnismäßig geringe Bestrafung der Gewalttäter aufmerksam machen muss. Die Geschichte spielt sich im Folgenden auf zwei Ebenen ab: Einerseits läuft die Suche nach dem unbekannten Rächer auf Hochtouren, zum anderen nimmt aber auch die Diskussion um Selbstjustiz und Zivilcourage sehr viel Raum ein. Gerade im Mittelteil dreht sich vieles um die entsprechende Medienberichterstattung und die ursprüngliche Serienkillerstory (die der „Racheengel“-Fall eben nun einmal auch ist) rückt in dieser Phase auch wegen einer sehr ausführlichen Werbung für das israelische Selbstverteidigungssystem Krav Maga für meinen Geschmack etwas zu sehr in den Hintergrund.

Packende, intelligente und kontroverse Unterhaltung auf hohem Niveau

Langweilig ist das Buch dadurch aber keinesfalls, denn gerade die Kontroverse um die oben genannten Themen trägt einen großen Teil zum Reiz der Geschichte bei, zumal der Leser zwangsläufig auch eine eigene Haltung zu diesem Fall extremer Selbstjustiz entwickelt und gezwungen ist, diese auch kritisch zu hinterfragen. So kommt man kaum umhin, dem Journalisten Ingo Praise eine gewisse Sympathie entgegenzubringen, allerdings wird nicht jeder dessen positive Haltung gegenüber dem Mörder teilen und dessen Verherrlichung daher mit großem Bedenken verfolgen. Andreas Eschbach geht hier clever vor und ergreift nicht Partei für einen bestimmten Standpunkt, sondern überlässt es dem Leser, sich eine Meinung zu bilden. Das macht „Todesengel“ zu einem aus moralischer Sicht hochinteressanten und intelligenten Thriller, der fesselt, zum Nachdenken anregt und nicht nur mit dem starken und sehr konsequenten Ende schockiert.

Fazit:
Packender Selbstjustiz-Thriller, der seine Spannung zwar eher aus der kontroversen Thematik bezieht als aus der reinen Serienkiller-Story, dadurch aber auch eine spannende moralische Diskussion anstößt (9/10).

Todesengel
Autor: Andreas Eschbach; Sprecher: Matthias Koeberlin; Spieldauer: 16 Std. 26 Minuten (ungekürzt); Anbieter: Lübbe Audio; Veröffentlicht: 20. September 2013; Preis: 29,95 €.

Link zum Hörbuch

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7 Antworten zu diesem Beitrag

  • Von Anonymous am 5. Feb 2014 um 18:15

    Kein Wort zum Sprecher?

    • Ich hab inzwischen so viele Hörbücher gehört dass sich die Sprecher bei mir ständig wiederholen, da ich mir vorrangig die Bücher nach meinen favorisierten Sprechern auswähle.

      Da finde ich es inzwischen etwas ermüdend ständig die gleichen Phrasen zu den gleichen Sprechern in die Rezension zu packen, sodass ich mir eigentlich vorgenommen habe, die Lesung nur zu erwähnen falls diese nicht mit der zu erwartenden Leistung des Sprechers übereinstimmt – positiv oder negativ.

      In diesem Fall kann ich dich aber beruhigen, Matthias Koeberlins Lesung hat mir (wieder einmal) sehr gut gefallen 😉

      • Von donma am 7. Feb 2014 um 17:59

        Hi,
        einerseits kann ich verstehen das du nicht immer dasselbe zu jedem Sprecher schreiben möchtest (Phrasen), andererseits sehe ich 2 punkte die dagegen Sprechen: 1. setzt du/das vorraus das man mindestens eine Rezension von dir gelesen haben muss, in dem eben DER Sprecher erwähnt wird (mühsam & unnötige Suche) & 2. sind es HÖRbuch-Rezensionen die du schreibt -noch dazu SEHR gute die ich immer gerne lese ;))-. Das heißt es ‚lebt‘ von seinem Sprecher. Jedes individuell. Ich kann ja auch keinen Film bewerten, ohne die Schauspieler zu erwähnen, selbst wenn Stallone zum x-ten mal nach Autounfall aussieht ;))

        Gruß,
        donma

        • Ich kann deine Argumentation nachvollziehen, allerdings nervt es mich nach mittlerweile mehr als 300 Rezensionen echt tierisch, immer die gleichen Sätze zu den gleichen Sprechern zu schreiben 😀

          Wie ausführlich würdest du dir die Beurteilung des Sprechers denn wünschen? Wäre ein Satz zur Sprecherleistung ausreichend oder hättest du es gerne differenzierter?

      • Von donma am 10. Feb 2014 um 19:26

        Hi,
        ein/zwei Sätze zur SprecherLEISTUNG reichen allemal. Es soll ja auch nur die jeweilige LEISTUNG (extra 2 mal hervorgehoben :)) des jeweiligen Hörbuches bewertet werden und nicht der Sprecher per se. Auch wenn ich es nicht glauben kann, aber vielleicht spricht selbst ein David Nathan mal ein Hörbuch schlecht (oder ’nur‘ durchschnitlich) ein, das sollte kurz erwähnt werden ohne das es einfluss auf seine anderen Hörbücher hat bzw. auch umgekehrt, das Sprecher die du/ich/wir schlecht bewertet haben mal eine gute Leistung abliefern!

  • Schöne Rezi des (Hör)-Buches. Dieses Buch habe ich vor kurzem gelesen und es gehört zu meinen absoluten Highlights ! Gerade diese von Dir angesprochene Thematik: Serienkiller oder gefeierter Held finde ich interessant ausgearbeitet. Ein Buch, das definitiv zum Nachdenken anregt und polarisiert! TOLL!

    • Ich mag Eschbachs Bücher auch gerade deshalb, weil sie Unterhaltung mit Anspruch kombinieren, ohne dass es irgendwie belehrend wirkt.

      Wird bestimmt nicht mein letztes Buch des Autors gewesen sein!