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Wenn sich die scheinbar perfekte Vorzeige-Ehe plötzlich in einen nicht enden wollenden Albtraum verwandelt…

Nick und Amy Dunne hatten eigentlich alles, was man zum Glücklichsein braucht. Die beiden waren frisch verheiratet, hatten gute Jobs, keinerlei finanzielle Sorgen und führten ein zufriedenes und aufregendes Leben in New York City, der Stadt die niemals schläft. Alles schien perfekt, bis Nick und Amy innerhalb kürzester Zeit plötzlich ihre Arbeitsplätze verloren und der Journalist und die Psychologin keine neue Anstellung mehr fanden – die bisher so perfekte Fassade erhielt erste Risse.

Wenn die Ehefrau plötzlich spurlos verschwindet…

Um einen Neuanfang zu wagen, entschließen Nick und Amy sich daraufhin zu einem Umzug ins beschauliche North Carthage in Missouri, wo Nick aufgewachsen ist und seine Familie immer noch lebt. Während Nick die Ersparnisse der Dunnes in die Eröffnung einer Bar steckt, die er gemeinsam mit seiner Zwillingsschwester Margo führt, kommt Amy dabei lediglich die undankbare Rolle als Hausfrau zu, die sie jedoch bei weitem nicht ausfüllt. So kommt es wenig überraschend, dass auch auch die Beziehung zwischen Nick und Amy im Laufe der Zeit zunehmend kriselt und die beiden eigentlich nur noch aneinander vorbei leben – bis Amy am fünften Hochzeitstag der Dunnes plötzlich spurlos verschwindet…

Der vielleicht meist gehypte Roman des Jahres

Wenn ich das bisherige literarische Jahr 2013 ein wenig Revue passieren lasse, gab es vor allem zwei Bücher, die für großes und nahezu weltweites Aufsehen gesorgt haben. Das eine ist „The Cuckoo’s Calling“, die heimliche und überraschende Krimi-Veröffentlichung von Harry-Potter-Schöpferin Joanne K. Rowling, die nach Aufdeckung ihres Pseudonyms „Robert Galbraith“ über Nacht die Bestsellerlisten stürmte. Das andere ist der hier besproche Roman „Gone Girl: Das perfekte Opfer“ von US-Autorin Gillian Flynn. Während ihre ersten beiden Bücher „Sharp Objects“ (dt. „Cry Baby“) und „Dark Places“ (dt. „Finstere Orte“) weitestgehend unbeobachtet blieben, schossen die Verkaufszahlen ihres aktuellen Werkes förmlich durch die Decke – und auch meine Twitter-Timeline und die von mir gelesenen Bücherblogs brachten innerhalb kurzer Zeit eine Rezension nach der anderen hervor. Sogar in meinem Schweden-Urlaub bin ich von der sehr aufwändigen Marketing-Kampagne nicht verschont geblieben, da teilweise an den Bahnhöfen sogar ganze Treppen mit der Buchwerbung großflächig vollgepflastert waren. Da die Bewertungen überwiegend sehr euphorisch ausfielen und sich nur sehr wenige enttäuschte Gegenstimmen fanden, wanderte das Buch letztlich auch in meine Bibliothek. Ich habe allerdings auf das Erscheinen der deutschen Hörbuchversion gewartet, die von den Schauspielern Matthias Koeberlin und Christiane Paul gelesen wird.

Szenen einer Ehe

Die Ausgangssituation ist simpel: Man nimmt ein typisch amerikanisches Pärchen aus dem gehobenen Mittelstand und lässt praktisch von einem Tag auf den anderen ihre heile Welt und ihr sorgenfreies Leben einstürzen – gerade noch ein hippes Szene-Leben in der Medienwelt New Yorks geführt und nun plötzlich arbeitslos und ohne Zukunftsperspektive. Weil die Printbranche im Internetzeitalter am Stock geht, finden sich weder für die Reportagen des Journalisten Nick Dunne noch für die ausgefeilten Persönlichkeitstest seiner Frau Amy Verwendung in den Magazinen und Zeitschriften der Stadt – und statt aus trendigen Partys
besteht das Eheleben der Dunnes auf einmal aus Langeweile pur. Ein Tapetenwechsel muss her, um zu retten was noch zu retten ist und so überredet Nick die skeptische Amy zu einem Neustart in der Provinz, wo dann auch immerhin Nick wieder aufblüht – und seine Frau dabei sträflich ignoriert und diese ihrem öden Hausfrauen-Alltag überlässt. Es kommt wie es kommen muss und nach fünf gemeinsamen Jahren existiert die Ehe der Dunnes praktisch nur noch auf dem Papier.

Ausgerechnet am fünften Hochzeitstag geschieht dann aber das Unfassbare: Amy verschwindet plötzlich spurlos und die im verwüsteten Wohnzimmer der Dunnes gefundenen Spuren deuten eindeutig auf eine unfreiwillige Abwesenheit der Mitt-Dreißigerin hin. Die Polizei ermittelt in einem Entführungsfall und es dauert nicht lange, bis fast folgerichtig auch der Ehemann ins Visier der Ermittlungen gerät. So weit, so unoriginell. Gillian Flynn rollt ihre Geschichte dabei an zwei Fronten auf: Während Nick in der Gegenwart die Spurensuche nach seiner Frau aufnimmt, wird der Leser mithilfe von Amys Tagebucheinträgen über den schleichenden Niedergang der Dunne-Ehe aufgeklärt – vom ersten Treffen bis zum verhängnisvollen Tag von Amys Verschwinden.

Gemächliche erste Hälfte mit unsympathischen Hauptfiguren

Ich habe mich bemüht, unvoreingenommen an „Gone Girl“ heranzugehen, trotzdem konnte ich in der Mitte des Buches eine leichte Enttäuschung aufgrund der recht unspektakulären ersten Hälfte nicht unterdrücken. Gerade wegen des riesigen Hypes hatte ich doch eine etwas spannendere Geschichte erwartet und nicht unbedingt die gebotenen ausschweifenden Gedankengänge zweier sich gerne selbst bemitleidender Hauptfiguren. In dieser Hinsicht bekleckern sich nämlich beide Protagonisten nicht gerade mit Ruhm, denn weder Nick noch Amy eignen sich auch nur ansatzweise als Sympathieträger. Während Nick das Verschwinden seiner Frau merkwürdig gleichgültig hinnimmt und nur darauf zu warten scheint, dass jemand anderes die Verantwortung für die Suche nach Amy übernimmt, wirkt diese in ihren Tagebucheinträgen wie ein verwöhntes und verzogenes Mädchen, das sich viele Jahre in ihrer Berühmtheit als Vorlage einer erfolgreichen Kinderbuchserie ihrer Eltern gesonnt hat und sich nun ungerecht behandelt fühlt, weil sie ein langweiliges Hausfrauenleben führen muss und von ihrem Mann nicht mehr vergöttert wird wie noch in der Anfangsphase ihrer Ehe. Was anfangs noch harmlos beginnt, entwickelt sich im Verlauf der Handlung immer mehr zu einem Wettlauf zwischen Pest und Cholera um die Gunst des Lesers – den jedoch keiner von beiden für sich gewinnen kann. Ich habe selten ein Buch gelesen, bei dem ich die handelnden Charaktere so sehr verachtet bzw. teilweise richtiggehend gehasst habe wie bei „Gone Girl“ – doch genau das ist vermutlich die Intention der Autorin. Dazu kommt noch, dass sowohl Nick als auch Amy teilweise sehr vulgär auftreten, was beide dem Leser auch nicht unbedingt näher bringt.

Gute zweite Hälfte mit unbefriedigendem Schluss

Nach der etwas langatmigen ersten Hälfte kommt das Buch dann aber immer mehr in Schwung, was auch an dem drastischen Wendepunkt liegt, der den geübten Krimileser allerdings kaum überraschen kann. Denn auch wenn „Gone Girl“ im Schlussdrittel die ein oder andere überraschende Feinheit bietet, so ist die Handlung im Großen und Ganzen doch eher vorhersehbar. Das ist aber nicht unbedingt schlimm, denn Gillian Flynns Psychospielchen funktioniert trotzdem recht gut und reißt den Leser mit in Nicks Abwärtsspirale – völlig gleich ob man sich mit der Figur nun solidarisieren kann bzw. mag oder nicht. Es ist nicht der erhofft große Psychothriller, aber dennoch solide bis gute Unterhaltung, die „Gone Girl“ in der zweite Hälfte des Romans bietet. Was dem Buch dann aber den Aufstieg in höhere Wertungsregionen verwehrt, ist das aus meiner Sicht sehr enttäuschende Ende. Dabei ist dies nicht einmal von Grund auf schlecht und in gewisser Weise sogar konsequent – zumindest meine ich, die Absicht der Autorin verstanden zu haben –, allerdings hätte ich mir persönlich lieber einen klareren Abschluss der Geschichte gewünscht und finde das Ende in dieser Form irgendwie unbefriedigend.

Die Hörbuch-Sprecher Christiane Paul und Matthias Koeberlin

Ein paar Worte noch zur Hörbuchversion: Auch hier ist mein Eindruck etwas zwiegespalten. Den männlichen Part finde ich von der Umsetzung her sehr gelungen, was mich auch nicht unbedingt überrascht hat, da Matthias Koeberlin mir schon als Sprecher der Mystery-Thriller-Serie „Apocalypsis“ gut gefallen hat. Außerdem sorgt seine Stimme dafür, dass die Figur des Nick Dunne zumindest einen winzig kleinen Hauch von Sympathie weckt, welcher ihr ohne die Lesung vermutlich komplett abhanden gekommen wäre. Dies gilt allerdings nicht für den weiblichen Part, der mir auch aufgrund der Lesung von Christiane Paul durchgängig unsympathisch geblieben ist. Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um mich an ihre Stimme zu gewöhnen, die gerade im Anfangsdrittel oft sehr künstlich und aufgesetzt wirkt – was allerdings auch wieder zur oberflächlichen Figur der Amy Dunne passt. Mit zunehmender Laufzeit legten sich diese Schwierigkeiten dann aber fast vollständig, da Amys Darstellung durch Pauls Arbeit immer authentischer wurde. Insgesamt also letzten Endes doch eine gute Umsetzung, sodass man bedenkenlos zur Hörbuchversion greifen kann.

Weder Flop noch Top

Wie fällt nun also mein Fazit zu „Gone Girl“ aus? Ein wenig durchwachsen. Einerseits hatte ich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass der enorme Hype um das Buch gerechtfertigt wäre, andererseits teile ich aber auch nicht die Meinung derjenigen, die von diesem Roman total enttäuscht wurden, sondern liege irgendwo dazwischen. Als Thriller ist mir das Buch zu unspektakulär und zu verhersehbar, als Psychostudie kann Flynns Werk aber durchaus überzeugen. Wer damit klar kommt, dass man keine Sympathie für die Hauptfiguren einer Geschichte aufbringen kann, der bekommt ein durchaus gutes Krimi-Drama mit einigen Finten geboten – das Rad wird hier aber sicherlich nicht neu erfunden.

David Finchers Romanverfilmung mit Ben Affleck und Rosamund Pike

Dennoch freue ich mich sehr auf die bereits in Planung befindliche Verfilmung von „Gone Girl“, die voraussichtlich 2014 in die Kinos kommen wird. Hauptgrund dafür ist die Besetzung des Regiestuhls, denn dort wird niemand geringerer als David Fincher Platz nehmen, der gleich eine ganze Reihe meiner Lieblingsfilme („Sieben“, „Panic Room“, „Zodiac“, „The Social Network“ oder „Verblendung“) zu verantworten und meine Erwartungen eigentlich noch nie enttäuscht hat. Auch die Besetzung der beiden Hauptrollen klingt interessant, wobei mir besonders Ben Affleck nahezu als Idealbesetzung für die Rolle des Nick Dunne erscheint. Bei Rosamund Pike als Amy habe ich noch leichte Zweifel, da sie mir für diese Rolle etwas zu sympathisch erscheint – aber ich lasse mich gerne eines besseren belehren. Das Kinoticket werde ich aber auf jeden Fall lösen, wenn es denn im nächsten Jahr so weit ist.

Fazit:
Interessante und bitterböse Psychostudie einer Ehe, die zwar den Hype um das Buch nicht unbedingt gerechtfertigt, trotz der unsympathischen Hauptfiguren aber letztlich gut unterhält (7/10).

Hörbuchcover
Autorin: Gillian Flynn; Sprecher: Christiane Paul, Matthias Koeberlin; Originaltitel: Gone Girl; Spieldauer: 17 Std. 36 Minuten (ungekürzt); Anbieter: Argon Verlag; Veröffentlicht: 22. August 2013; Preis: 27,88 € (9,99 € im Flexi-Abo).

Link zum Hörbuch

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3 Antworten zu diesem Beitrag

  • Ich hab das Hörbuch auch gerade auf den Ohren 🙂 Jedenfalls dann, wenn ich nicht gerade lesen mag. Ich war aber jetzt nach ein paar Stunden hören etwas gelangweilt davon und hab doch lieber zu einem Buch gegriffen… Das Ende interessiert mich allerdings doch, deshalb will ich es eigentlich schon noch fertig hören. Danke jedenfalls für deine Infos zum Film! Das wusste ich noch gar nicht!

    • Ich war ja von der ersten Hälfte auch nicht so überzeugt, aber es wurde dann wirklich besser.

      Ich bin ja mal gespannt was du zum Ende sagst, das fand ich nämlich leider echt etwas enttäuschend…