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Harry-Potter-Schöpferin Joanne K. Rowling hat still und heimlich ein neues Buch veröffentlicht – bis ihr Pseudonym „Robert Galbraith“ enttarnt wurde und „The Cuckoo’s Calling“ wenig überraschend die Bestsellerlisten stürmte…

Die Londoner Boulevard-Presse wird von einem tragischen Ereignis bestimmt: Das junge und erfolgreiche Top-Model Lula Landry ist mitten in der Nacht vom Balkon ihrer luxuriösen Wohnung in den Tod gestürzt. Die Umstände ihres Todessturzes sind zunächst ungeklärt, doch für die Polizei deutet vieles auf einen Selbstmord hin, zumal Landry in der jüngeren Vergangenheit bereits aufgrund einer lebhaften Drogenvergangenheit und diagnostizierten bipolaren Störungen für Schlagzeilen und eine brodelnde Gerüchteküche gesorgt hat. Außerdem finden die Ermittler keine Anzeichen für Fremdeinwirkung oder Hinweise auf einen unbefugten Zutritt in das Appartment, sodass der Fall letztlich zu den Akten gelegt wird.

Ein Top-Model stürzt in den Tod – Suizid oder Mord?

John Bristow, der Adoptivbruder der Verstorbenen, kann sich jedoch auch drei Monate nach der Tragödie nicht mit der Selbstmord-Theorie abfinden und beauftragt den Privatdetektiv Cormoran Strike damit, den Fall noch einmal neu aufzurollen. Dieser zeigt sich davon zunächst wenig begeistert, da er aufgrund der sorgfältigen Polizeiermittlungen und der breiten Medienberichterstattung nicht an neue Erkenntnisse in dieser Angelegenheit glaubt, doch Strike lässt sich schließlich doch noch davon überzeugen, den Tod des Models erneut von Grund auf zu untersuchen – nicht zuletzt weil Bristow sich an die zweifelhafte Zeugenaussage einer Nachbarin klammert, die kurz vor Landrys Sturz einen Streit aus der Wohnung vernommen haben will…

Ein Bestseller mit leichter Verzögerung

Wer sich auch nur annähernd für das aktuelle Geschehen auf dem Buchmarkt interessiert, dem wird das enorme Medienecho auf die Enttarnung von Joanne K. Rowlings Pseudonym kaum entgangen sein. Wie zu erwarten war, sind zeitgleich die Verkaufszahlen explodiert, sodass „The Cuckoo’s Calling“ der derzeit vielleicht angesagteste Roman ist. Natürlich konnte auch ich nicht widerstehen und habe mir das Buch direkt in den Warenkorb gepackt, zumal Rowlings neuestes Werk diesmal auch genau in mein Lieblingsgenre fällt – wobei ich ehrlich gestehen muss, dass mich der Krimi alleine mit seinem Klappentext wohl kaum angesprochen hätte…

Cormoran Strike – Privatdetektiv und ehemaliger Militärpolizist

Mit ihrem neuen Roman präsentiert Rowling auch gleich eine neue Hauptfigur, nämlich den ehemaligen Militärpolizisten Cormoran Strike, der während seiner Dienstzeit in Afghanistan seinen rechten Unterschenkel verlor und nun auf eine Prothese angewiesen ist. Optisch erfüllt Strike aber weiterhin das Klischee eines Kriegsveteranen: groß, stämmig und ein wenig verknautscht, was nicht zuletzt auch an seiner Vergangenheit als Boxer liegt. Die erste Begegnung mit dem Protagonisten hinterlässt dabei gleich einen bleibenden Eindruck, denn Strike rennt beim Versuch, seiner frisch verflossenen Lebensgefährtin Charlotte hinterherzulaufen, direkt einmal seine zukünftige Assistentin über den Haufen. Die junge Robin Ellacott ist ihm von einer Zeitarbeitsfirma als Aushilfe zugeteilt worden, erweist sich aber schnell als zuverlässige und motivierte Unterstützung, was auch beim Leser für dicke Pluspunkte sorgen sollte. Das zusammengewürfelte Gespann Strike/Robin stellt sich früh als wirklich gelungenes Team heraus, obwohl (oder vielleicht gerade weil) die beiden Charaktere grundverschieden sind und auch ihre aktuellen Lebenssituationen unterschiedlicher kaum sein könnten: Auf der einen Seite der abgebrannte Ermittler, der nach seiner gescheiterten Beziehung obdachlos ist und (mehr oder weniger heimlich) im Büro wohnt und auf der anderen Seite die frisch verlobte Aushilfe, die vor einer blühenden beruflichen Zukunft steht. Dennoch ergänzen sich die beiden perfekt und sind im Zusammenspiel wirklich goldig, was zu einigen amüsanten Szenen führt.

Ruhiger, aber sehr raffinierter Krimi zum Miträtseln

Was die Story betrifft, hält es J.K. Rowling diesmal äußerst klassisch und kommt mit einer über weite Strecken fast schon aufreizend unspektakulären Geschichte daher. So steht über große Teile des Romans nicht einmal fest, ob es sich bei dem vermeintlichen Mord an dem Topmodel nicht tatsächlich „nur“ um einen einfachen Selbstmord handelt. Wer auf einen schnellen und actionreichen Krimi mit vielen Wendungen und Überraschungen aus ist, der wird vermutlich an „The Cuckoo’s Calling“ nicht viel Freude haben. Dafür ist die Handlung viel zu behäbig, was aber genau so auch beabsichtigt ist. Rowling legt viel Wert auf eine realistische und glaubwürdige Darstellung der Detektivarbeit, und so besteht ein großer Teil von Cormoran Strikes Ermittlungen nun einmal aus Zeugenbefragungen und einer sorgfältigen Aktenführung, aus denen sich nach und nach immer mehr Puzzleteile ergeben, die dann ineinander gefügt werden wollen. Hier ist die volle Aufmerksamkeit des Lesers gefragt, denn um mit der Vielzahl an Personen und Informationen fertig zu werden, muss man sich wie die Hauptfigur förmlich in den Fall hineinarbeiten. Klingt mühsam und ist es manchmal auch, zumal man an einigen Stellen wirklich aufpassen muss, um die Hintergründe der Charaktere nicht durcheinanderzuwürfeln – aber die Mühe lohnt sich. Denn durch die detaillierte Ausarbeitung der Story entwickelt sich der Roman zu einem perfekten Krimi zum Miträtseln, bei dem man als Leser munter Hinweise sammeln und nach Herzenslust wilde Theorien entwickeln kann. Rowling stellt sich dabei so geschickt an, dass man tatsächlich fast zu jeder Figur ein mögliches Motiv zusammenstricken kann. Wie raffiniert die Handlung dann schlußendlich wirklich ist, zeigt sich beim trotz aller Mitraterei immer noch überraschenden Ende, bei dem aber wirklich alles zusammen passt und selbst kleinste Andeutungen plötzlich einen Sinn ergeben. Schön ist auch wie Rowling scheinbar belanglose Nebenhandlungen noch einmal aufgreift und zum Schluss doch noch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung verpasst.

Ein anspruchsvoller Kriminalroman für Liebhaber

Wenn man sich für eine solche „handwerkliche“ Ermittlung begeistern kann und wie Strikes Partnerin Robin eine fast schon kindliche Freude an Detektivarbeit hat, der bekommt mit „The Cuckoo’s Calling“ einen fast schon grandiosen Kriminalroman geboten, der auch ohne große Action voll überzeugen kann und besonders im Schlussdrittel echte Pageturner-Qualitäten entwickelt. Ich freue mich jedenfalls schon sehr auf den nächsten Fall des akribischen Ermittlers und seines sympathischen Sidekicks und fiebere dem Erscheinungsdatum des nächsten Bandes schon jetzt entgegen.

Fazit:
Raffinierter und vielschichtiger Kriminalroman, der mit authentischer Detektivarbeit und glaubwürdigen Charakteren überzeugt und beweist, dass J.K. Rowling auch im Krimi-Genre mit ihren Geschichten zu faszinieren weiß (9/10).

Buchcover
Autor: Robert Galbraith (Joanne K. Rowling); Umfang: 449 Seiten; Verlag: Little, Brown Book Group; Erscheinungsdatum: 18. April 2013; Preis: Gebundene Ausgabe 15,95 €/eBook 10,99 €.

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2 Antworten zu diesem Beitrag

  • So, ich bin jetzt auch fertig mit ‚The Cuckoo’s Calling‘ und habe nochmal deine Rezi gelesen. Wir stimmen mal wieder überein, auch wenn ich aufgrund der über weite Strecken fehlenden Spannung doch ein paar mehr Punkte abgezogen habe als du.

    Als jemand, der klassische Krimis nicht so gerne liest, machen für mich die Figuren den Reiz aus. Cormoran ist ja wirklich ein klasse Typ und – wie du sagst – sein Zusammenspiel mit Robin ist tatsächlich ‚goldig‘. Guter Ausdruck.

    Ohne deine Empfehlung hätte ich das Buch vermutlich nicht gelesen. Es hat sich gelohnt – auch ich werde in Teil 2 gerne wieder mitermitteln.

    Gruß,
    papercuts1

  • Von Elwen am 6. Mrz 2015 um 15:32

    Schöne Rezi, die es perfekt auf den Punkt bringt. Bin gerade mit dem Roman durch und fand ihn gerade wegen seiner unaufgeregten Erzählweise fantastisch. Freue mich schon auf den 2. Teil 🙂