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Ein Kommissar im Ruhestand und ein drogensüchtiger Polizist untersuchen den Mord an einem Chorleiter und kommen dabei einer grausamen Wahrheit auf die Spur…

In der armenischen Kirche Saint-Jean-Baptiste mitten in Paris wird ein Mann brutal ermordet. Der mittlerweile pensionierte Ex-Polizist Lionel Kasdan, selbst armenischer Abstammung, ist zufällig vor Ort und wird durch den markerschütternden Todesschrei des Mannes alarmiert. Als er der Quelle des Geräusches folgt, ist es jedoch bereits zu spät und er findet nur noch die blutüberströmte Leiche des Opfers – vom Täter selbst fehlt jede Spur. Trotz des Blutes fehlt jedoch ein Hinweis auf die Todesursache, denn auf den ersten Blick sind bei dem Ermordeten keine äußeren Verletzungen erkennbar.

Der Chorleiter einer armenischen Kirche wird ermordet – Todesursache: Schmerz

Die Obduktion der Leiche offenbart Grauenvolles: Offenbar erlitt der Mann, der als Chorleiter Wilhelm Götz identifiziert wird, einen tödlichen Herzstillstand infolge eines durchstoßenen Trommelfells – Götz ist also praktisch aufgrund des unvorstellbaren Schmerzes gestorben, den diese Verletzung hervorgerufen hat. Neben der ungewöhnlichen Mordmethode gibt der Tod des Chorleiters aber weitere Rätsel auf, denn am Tatort gefundenen Fußabdrücke führen zu den Chorknaben der Kirche, die von Götz unterrichtet wurden. Lionel Kasdan stellt eigene Nachforschungen an und sieht in den Jungen zunächst potenziell wertvolle Zeugen, die den Täter möglicherweise erkannt haben könnten. Doch als er sich eingehender mit dem Fall befasst, kommt ihm ein schrecklicher Verdacht: Was, wenn die Chorknaben nicht so unschuldig sind, wie sie ihm und der Polizei weismachen wollen?

Engelsgleiche Chorknaben als kaltblütige Killer?

Es ist ein erschütterndes Verbrechen, mit dem Frankreichs Bestsellerautor Jean-Christophe Grangé seinen Thriller „Choral des Todes“ beginnen lässt. Dabei verstört nicht unbedingt der Mord an sich, sondern die ungewöhnliche und fast unvorstellbare Todesursache. Wenn man erfährt, dass dem ermordeten Chorleiter das Trommelfell durchstoßen wurde, um mit dem folgenden unfassbaren Schmerz einen Herzstillstand auszulösen, so muss man an dieser Stelle als Leser schon erst einmal schlucken. Dieses Unwohlsein wird aber noch gesteigert, als Grangé die Theorie aufkommen lässt, das möglicherweise Jungen im Kindesalter für dieses Verbrechen verantwortlich sind. Kaltblütige Kinder, die zu einer solch perfiden Mordmethode greifen, erscheinen hier völlig wahnwitzig und wie aus einem Horrorfilm entsprungen – aber der vom Autor ausgeworfene Köder funktioniert, denn ab dieser Stelle kann man das Buch kaum noch aus der Hand legen.

Von Kindesmissbrauch über chilenische Folterknechte bis zu wilden Nazi-Mythen

Grangé präsentiert seinen Lesern bei der Entwicklung der Geschichte zahlreiche Theorien zum Motiv für die Ermordung des Chorleiters und wirft hier wild mögliche Erklärungen in einen Topf. Einige davon erscheinen naheliegend, wie z.B. die Einschätzung des Mordes als Racheakt für sexuellen Missbrauch der Chorknaben durch den Getöteten, andere hingegen wirken stellenweise sehr weit hergeholt. Dem Autor gelingt es aber auf beeindruckende Art und Weise, diese bizarren Theorien in jeweils absolut glaubwürdige Geschichten zu verpacken, von denen man sich gerne gefangennehmen lässt. So wild Folterverbrechen in Chile oder obskure Nazi-Mythen in diesem Zusammenhang erscheinen mögen – man kauft Grangé jedes Wort ab und fliegt förmlich durch die Seiten, um der Aufklärung dieses geheimnisvollen Verbrechens näher zu kommen.

Ungewöhnliches und ziemlich gestörtes Ermittlerduo

Der größte Trumpf des Romans sind aber die ungewöhnlichen Hauptfiguren, denn weder der armenische Ex-Kommissar Lionel Kasdan noch sein Helfer Cédric Volokine entsprechen dem typischen Ermittler-Klischee. Auf der einen Seite ein knurriger alter Mann mit ausländischen Wurzeln und bewegter Kriegsvergangenheit, auf der anderen Seite ein unberechenbarer Junkie, der eher als Rockstar denn als Polizist durchgehen würde. Beide haben neben den Ermittlungen auch noch mit sich selbst und ihrer Vergangenheit zu kämpfen, was für den Leser weitere spannende Reizpunkte setzt. Wie so oft bei französischen Thrillern hat man auch bei „Choral des Todes“ fast zwangsläufig den Schauspieler Jean Reno vor Augen, der schon in der Verfilmung von Grangés „Die purpurnen Flüsse“ die Rolle des routinierten Kommissars spielte. Und auch sein damaliger Partner Vincent Cassel würde sich vermutlich hervorragend für die Leinwandversion dieses Romans eignen und könnte problemlos in die Rolle des ebenso eigenwilligen Volokine schlüpfen. Ich habe selten einen Thriller gelesen, bei dem mich die Hauptfiguren so fasziniert haben wie bei „Choral des Todes“, alleine schon weil diese überhaupt nicht dem Einheitsbrei dieses Genres entsprechen – auch wenn es bei Lionel Kasdan auf den ersten Blick vielleicht den Anschein hat.

Spannend, unheimlich und mysteriös

Spannende Story, packende Charaktere – was gibt es an diesem Buch also groß auszusetzen? Die Antwort lautet: wenig bis gar nichts. Man könnte sich daran stören, dass Grangé gelegentlich etwas zu sehr ins Mystische abdriftet oder die Geschichte mit all ihren Irrungen und Wendungen vielleicht ein wenig zu dick aufgetragen ist – vor allem was den dramatischen Showdown betrifft. Man kann den Roman aber auch einfach als das hinnehmen, was er sein möchte: Einfach ein Stück verdammt spannender und mysteriöser Thriller-Unterhaltung, das schockiert, verstört, mitreißt und einen am Ende erschöpft zurücklässt. Was will man mehr?

Fazit:
Unheimlicher, spannender und geheimnisvoller Mystery-Thriller mit ungewöhnlichen Hauptfiguren und einer tollen Story – Jean-Christophe Grangé in Bestform (9/10)!

Buchcover
Autor: Jean-Christophe Grangé; Originaltitel: Miserere; Umfang: 571 Seiten; Verlag: Bastei Lübbe; Erscheinungsdatum: 22. Juli 2011; Preis: Taschenbuch 9,99 €/eBook 8,49 €.

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3 Antworten zu diesem Beitrag

  • Ach je – noch ein Buch für meine Warteliste. 😉

    Mal schauen, ob es das auch als Hörbuch gibt. Wäre doch was für Johannes Steck, oder?

    LG,
    papercuts1

  • Ja, schon. Aber bei Pampel habe ich doch immer mal Harrison Ford im Kopf. Steck passt für mich seit Minier’s ‚Schwarzer Schmetterling‘ einfach perfekt zu französischen Thrillern.