Autor: Jo Nesbø
Umfang: 464 Seiten
Verlag: List Taschenbuch
Erscheinungsdatum: 08. Mai 2008

Klappentext:
Als der norwegische Staatsschutz Hinweise auf ein geplantes Attentat auf den Thronfolger erhält, beginnt für Harry Hole ein Alptraum aus Lügen und Verrat. Die Spur der Verdächtigen führt in das dunkelste Kapitel norwegischer Vergangenheit: Eine Gruppe von Nazikollaborateuren hat im Untergrund ihr verhängnisvolles Netz gewoben und Harry sieht sich mit einem mörderischen Filz von Intrigen und Verblendung konfrontiert.

Meine Buchbesprechung:
November 1999: Der amerikanische Präsident kommt zum Staatsbesuch nach Norwegen und Polizeiobermeister Harry Hole gehört zu den Beamten, welche die Fahrstrecke der Präsidenteneskorte überwachen sollen. Aufgrund von Abstimmungsproblemen zwischen Secret Service und norwegischer Polizei kommt es zu einem bedauerlichen Zwischenfall, als Hole einen nicht angemeldeten US-Agenten anschießt, den er fälschlicherweise für eine Bedrohung gehalten hat. Die Schuldfrage ist schnell geklärt und die Amerikaner übernehmen einsichtig die Verantwortung, doch um Hole endgültig aus der Schusslinie zu nehmen soll er öffentlichkeitswirksam befördert werden.

Attentatsgerüchte versetzen den norwegischen Staatsschutz in Alarmbereitschaft 

So kommt es, dass Harry das Dezernat für Gewaltverbrechen gegen seinen Willen verlassen muss und zum polizeilichen Überwachungsdienst (PÜD) versetzt wird. Begeistert ist er von seinem Posten aber überhaupt nicht und fühlt sich mit seinem neuen Schreibtischjob unterfordert. Erst als ihm die Einfuhr einer seltenen Präzisionswaffe gemeldet wird, ist Holes Neugier geweckt. Das Gewehr gilt als beliebte Attentatswaffe und so schrillen beim PÜD natürlich die Alarmglocken. Harry versucht, die Spuren der Waffe zu verfolgen, die ihn in die rechtsradikalen Kreis der norwegischen Hauptstadt führen…

Dritter Auftritt des Ermittlers Harry Hole und erster Einsatz in heimischen Gefilden

„Rotkehlchen“ ist der dritte Teil der beliebten und erfolgreichen Harry-Hole-Reihe des norwegischen Autors Jo Nesbø und spielt nach den beiden Auslandsabenteuern in „Der Fledermausmann“ und „Kakerlaken“ zum ersten Mal in der Heimat der Hauptfigur. Nachdem Harry in den Vorgängern einige Schicksalsschläge verkraften musste und Zuflucht im Alkohol gesucht hatte, ist er nun wieder auf dem Weg der Besserung und seit längerer Zeit sogar trocken. Dazu hat vor allem auch seine Kollegin Ellen beigetragen, die in der schweren Zeit zu ihm gestanden und dem Polizisten aus seiner depressiven Phase herausgeholfen hat. Trotzdem beginnt „Rotkehlchen“ für den Polizeiobermeister zunächst wieder einmal recht bitter, als er nämlich durch unglückliche Umstände einen Secret-Service-Agenten anschießt und schwer verletzt – wenngleich ihm diesmal wirklich keine Vorwürfe gemacht werden können, da die örtliche Polizei nicht über den amerikanischen Streckenposten informiert wurde und Hole somit von einer Gefahr für den US-Präsidenten ausgehen musste.

Mühsamer und zäher Auftakt fordert die Geduld des Lesers

Kein leichter Start also für den charismatischen Ermittler, und ähnlich holprig gestaltet sich der Einstieg auch für den Leser. Die Erzählstruktur ist nämlich gerade im ersten Drittel alles andere als übersichtlich und verwirrt durch wilde Zeit- und Handlungssprünge. Jo Nesbø zieht seine Geschichte nämlich von mehreren Seiten auf. Nach den ersten Kapitel in Oslo springt der Autor plötzlich ins Jahr 1942 nach Leningrad, wo eine Gruppe Norweger die deutschen Truppen unter Hitlers Führung im Zweiten Weltkrieg unterstützt und an der russischen Front in mehrere Gefechte verwickelt ist. Man begleitet diese jungen Männer durch harte und eisige Nächte und bekommt die Unerbittlichkeit des Krieges zu spüren, der Tag für Tag neue Opfer fordert. Nach ein paar kurzen Einschüben dieser Art geht es weiter ins Wien des Jahres 1944, wo ein Überlebender dieser Kollaborateure in einem Krankenhaus gesund gepflegt wird und einer österreichischen Krankenschwester langsam näher kommt. Für den Leser ist diese Anfangsphase sehr zäh, da die Zusammenhänge zunächst nicht zu erkennen sind und diese sprunghaften Szenenwechsel keinen rechten Erzählfluss aufkommen lassen wollen. Da ist es mit Sicherheit auch nicht gerade förderlich, dass auch der Handlungsstrang in Oslo nur mühsam in Fahrt kommt. Lange Zeit hat Harry Hole nämlich keinen richtigen Fall – und die Suche nach einem Präzisionsgewehr ist nun wirklich kein Aufhänger, der einen erfahrenen Krimifan auf Anhieb mitreißt.

Durchhalten lohnt sich und wird mit einer hochinteressanten Geschichte belohnt

Man muss sich also bei der Lektüre ein wenig in Geduld üben, doch es lohnt sich wirklich. Je mehr Harry Hole die Spur der Attentatswaffe verfolgt, umso tiefer dringt er ein in das rechtsradikale Milieu Oslos, das gleichermaßen aus jungen Neonazis wie auch als alten Männern besteht, die im Krieg die deutschen Truppen unterstützt haben. Jo Nesbø widmet sich hier einem dunklen Kapitel der norwegischen Geschichte, welches aber sehr interessant aufgearbeitet wird. Im Mittelpunkt der Handlung stehen nämlich die norwegischen Kollaborateure des 2. Weltkrieges, die als junge Männer auf der Seite Hitlers gegen die Russen gekämpft haben und nach Kriegsende von Norwegen als Vaterlandsverräter abgestraft wurden – ein Vorgehen, das viele Beteiligte immer noch nicht verwunden und akzeptiert haben.

Charismatische Ermittlerfigur fasziniert auch im dritten Anlauf

Natürlich lebt auch der dritte Roman der Reihe wieder von seiner Hauptfigur Harry Hole, dem schwermütigen Einzelgänger, der zwar ein hervorragender Ermittler ist, ansonsten aber gerade im Privatleben nicht viel auf die Reihe bekommt. Immerhin scheint er aber die schlimmste Phase nun hinter sich zu haben und hat auch sein großes Alkoholproblem endlich in den Griff bekommen. Auch seine Kollegen und Vorgesetzten stehen weiterhin hinter ihm, wenngleich es der sture Norweger seiner Umgebung nicht immer leicht macht. Wer aber die ersten beiden Bände gelesen hat und Harry auf seinem Weg schon eine Weile begleitet, der wird sich wie ich freuen, dass es mit dem Polizisten zur Abwechslung mal aufwärts geht und die privaten Momente diesmal nicht ganz so niederschmetternd und zermürbend sind wie in den Vorgängern. Auch im zwischenmenschlichen Bereich sieht es für Harry dieses Mal recht rosig aus, auch wenn ihm auch in Sachen Romantik noch eine Menge Arbeit erwartet.

Schlussfazit:
Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich mit „Rotkehlchen“ richtig warm geworden bin, doch wenn man die zähe und mühsame Anfangsphase erst einmal überstanden hat und sich die zusammenhanglos verteilten Puzzlestücke langsam ineinanderfügen, dann wird Harry Holes dritter Fall zu einem Krimi, den man nur sehr schwer wieder aus der Hand legen kann. Hier geht es nämlich mal nicht um die simple Suche nach einem Mörder, sondern um ein komplexes Kapitel norwegischer Geschichte und Vergangenheitsbewältigung, mit dem man sonst kaum konfrontiert wird. Eigentlich sind solche historischen Stoffe rund um den 2. Weltkrieg nicht wirklich ein Thema, das mich noch sonderlich fasziniert, was vielen aus der jüngeren Generation vermutlich ähnlich gehen dürfte. Umso bemerkenswerter ist es also, dass mich Jo Nesbø mit seiner Story richtig gepackt hat und mich für das alles andere als einfache Thema wirklich begeistern konnte.

Keine leichte Kost, aber ein packender Norwegen-Krimi 

Auch die Entwicklung seiner Hauptfigur treibt der Autor konsequent voran und punktet vor allem durch einen diesmal nicht ganz so schwermütigen Harry Hole, der aber nichts von seinen Ermittlerfähigkeiten und seinem trockenen Humor eingebüßt hat. Für mich ist „Rotkehlchen“ insgesamt betrachtet trotz des schwachen Beginns eindeutig der bisher stärkste Teil der Reihe und macht richtig Lust auf die sechs weiteren bisher erschienenen Bände – vor allem, da nicht alle offenen Fragen beantwortet werden und gerade eine ganz bestimmte Angelegenheit noch nach einer Aufklärung schreit. Wer also skandinavische Krimis mag und auch vor anspruchsvollen Themen nicht zurückschreckt, der sollte sich „Rotkehlchen“ unbedingt einmal anschauen. Allerdings ist es sicherlich von Vorteil, wenn man die beiden Vorgänger gelesen hat, da man so die Entwicklung der Hauptfigur besser nachvollziehen kann.

Meine Wertung: 8/10

Informationen:
„Rotkehlchen“ von Jo Nesbø ist im List Taschenbuch Verlag erschienen und hat einen Umfang von 464 Seiten. Das Buch ist für 9,95 € als Taschenbuch erhältlich. Weitere Infos gibt es auf der Verlags-Homepage.

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3 Antworten zu diesem Beitrag

  • hi, vielen dank für die schöne Rezension. Ich liebe die Harry Hole Reihe ebenfalls, sie gehört meiner Meinung nach zum besten, was die skandinavische Kriminalliteratur u bieten hat, mit psönlich gefallen sie zum Beispiel auch deutlich besser als Wallander.

    MfG Matthias

  • Hallo,

    habe die Reihe ebenfalls zuhause stehen (bzw. auf dem Kindle :-)) Für mich ebenfalls mit das Beste, was es aus dem Norden zu lesen gibt. Obwohl mir von den neueren Sachen z.B. auch die Sebastian Bergman-Reihe von Hjorth/Rosenfeldt sehr gefällt!

    MfG

    • Oh, die Sebastian-Bergman-Reihe mag ich auch sehr, allerdings habe ich da bisher erst die ersten beiden Bände gelesen.

      Du hast bestimmt schon gehört, dass im Herbst endlich wieder ein neuer Harry-Hole-Krimi erscheint? 😉